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Sinn oder Unsinn von Diktaten

 
08. April 2009
Sinn oder Unsinn von Diktaten
Kategorie: Besser lernen
Anfrage einer Lehrerin:

Gern lese ich Ihre »Tips« zu einzelnen Themen des schulischen Alltags. Da an unserer Schule das Thema »Diktate - sinnvoll oder Unsinn?« sehr kontrovers diskutiert wird, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihren schon vor längerer Zeit veröffentlichten Text zu dieser Thematik zusenden könnten.

 

Freundliche Grüße

A. K.

Antwort:

Sehr geehrte Frau K.,

sehr gern erfülle ich Ihre Bitte. Ich habe drei Beiträge* aus meinem pädagogischen Blog herausgefiltert und einen vierten beigefügt, der vor einiger Zeit im Newsletter verschickt worden ist. Dem Schüler »Marco« sind zwei Texte gewidmet. Diesen Schüler gab es tatsächlich, die Episode ist nicht erfunden. Freilich ist das mehr als 20 Jahre her … die Probleme sind aber heute wie damals dieselben.

Meinen Überlegungen zufolge wird das Diktatschreiben einseitig nur unter dem Aspekt des Versagens betrachtet, was zur Ablehnung dieser wertvollen und erfolgversprechenden Übungsform geführt hat. Der Hauptfehler ist, daß für Diktatprüfungen schwierige, nicht ausreichend geübte Texte ausgewählt werden - ja, daß Diktate überhaupt nur als Prüfungsinstrument benutzt werden. Da bleibt es nicht aus, daß sie auf der Beliebtheitsskala ganz unten gelandet sind.

Diktate sind jedoch in erster Linie eine Lern- und Übungsmethode - noch dazu eine einfache und äußerst wirkungsvolle. Zu beachten sind dabei die folgenden Punkte (Vollständigkeit ist nicht angestrebt):

1. Diktate dürfen nicht als Droh- und Bestrafungspotential mißbraucht werden; das Diktieren findet in einer freundlichen Atmosphäre statt.

2. Diktate sollen regelmäßig auf dem Stundenplan stehen - in Grundschulklassen mindestens zwei- bis dreimal pro Woche.

3. Es wird nur diktiert, was vorher gut geübt wurde. Anfangs wörtlich, später sinngemäß.

4. Diktate sind eher kurz als lang.

5. Jedes Diktat wird von der Lehrperson nachgesehen, korrigiert und bewertet (nach herkömmlichen Noten oder einem anderen Bewertungsschlüssel).

6. Diktate werden nur mit ausgeruhten Schülern durchgeführt.

Das Diktat erfüllt dreierlei pädagogische Zielsetzungen:
Die erste dient der Motivation. Der Schüler kann zeigen, was er gelernt hat. Es ist eine Bewährungsprobe, und jeder Lernende wünscht sich solche Bewährungsproben, auch wenn die Nervosität ihn etwas plagt. Das gehört zu jeder Prüfung und setzt geistige Kräfte frei. Niemand wird die Motivation zum Lernen behalten, wenn er nicht dann und wann seine Kenntnisse in einer außerordentlichen Prüfungssituation zeigen kann. Der mittelfristige »Nutzwert« des Lernens, wenn ich dies so sagen darf, liegt in der Schule nun einmal bei den Prüfungen. Das Leben selbst, für das gelernt wird, liegt in abstrakter Ferne.

Die zweite ist das Diagnoseinstrument. Das Ergebnis macht sichtbar, ob das Lernen von Erfolg gekrönt ist. Das ist für die Gestaltung des Unterrichts wichtig. Wenn ein Kind den Lernstoff nicht beherrscht, so kann dies viele Gründe haben. Diesen nachzugehen ist eine anspruchsvolle Aufgabe des Lehrers.

Die dritte, und vielleicht wichtigste Aufgabe aber erfüllt das Diktat als Übungsmethode. Nach Diktat zu schreiben ist eine Konzentrationsübung, die zugleich diszipliniert und beim Einprägen von Wörtern und Sätzen auch sprachliche Elemente vermittelt. Eine Vorstufe des Diktats ist das Abschreiben in Schritten (der Schüler merkt sich Wörter oder Sätze der Textvorlage und schreibt sie auswendig auf). Als Arbeitsform setzt auswendiges Abschreiben eine disziplinierte Lernhaltung voraus, die nicht jedes Kind aufbringt. Deshalb sind leichte, dem Leistungsniveau angepaßte Diktate die wirksamste Methode zum Erlernen und Üben der Rechtschreibung.

Rechtschreiben lernt niemand nach Regeln - auch wenn dies heute so mancher glauben möchte. Wer sich selbst aufmerksam beobachtet und zur Begutachtung und Bewertung dieser Eigenbeobachtung die zeitgeistkonformen, ideologischen Scheuklappen abnimmt, wird zu dem Ergebnis kommen, daß richtiges Schreiben hauptsächlich auf Intuition fußt. Die Intuition, das ist ein Gefühl dafür, was richtig und was unüblich ist. Die Intuition, das ist auch visuelle Erinnerung. (mehr dazu») Richtiges Schreiben erlernen Schüler nur durch jahrelanges Lesen und Schreiben - letzteres eben auch nach Diktat.

Gerade heute ergab sich ein spontanes Gespräch mit einer Mutter, die beklagte, daß im Gymnasium, welches die Tochter besuche, das Üben vernachlässigt werde. Es werde von den Kindern erwartet, daß sie sich selbst in neue Stoffe einarbeiteten. Vorbild und Übung seien ganz aus der pädagogischen Mode gekommen. Weshalb ist dies so? Steckt wirklich nur Zeitmangel dahinter? Beim Erwerb der Grundfertigkeiten, wozu das orthographisch richtige Schreiben nun einmal gehört, empfehlen fortschrittliche Fachleute den Pädagogen von Beginn an eine Art gleichgültigen Wachsenlassens. Und irgendwann kommen dann doch Prüfungsarbeiten in Form von standardisierten Rechtschreibtests. Hier nun setzen logischerweise Streß, Angst und Abwehr ein.

Ich hoffe, daß ich Ihnen einige Anregungen geben konnte und würde mich freuen, gelegentlich von Ihnen zu hören!

Mit freundlichen Grüßen
Karin Pfeiffer

* Anhang: Texte zur Rechtschreiben:
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