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Kontrollierte Kindheit

 
30. Juli 2012
Kontrollierte Kindheit
Kategorie: Erziehung
 

Vorsicht, Pfütze!

Neulich auf dem Radweg: die Mutter folgt ihrer kleinen Tochter, die auf einem Rädchen erste Fahrübungen absolviert. Ich höre Mahnungen: »Wackle nicht so. Pass auf, wohin du fährst. Fahr dort, wo weniger Steine liegen. Schau geradeaus.« Als ich wenig später denselben Weg zurückkomme, trägt die Mutter das Rädchen, und das Kind trottet missmutig hinter ihr her. Der bunte Helm ist der Kleinen tief in die Stirn gerutscht.

Diese alltägliche Szene zeigt eine bedenkliche Richtung in der Erziehung an. Jede kindliche Aktivität wird mit theoretischen Erklärungen unterfüttert. Schon auf die Kleinsten prasseln die Anweisungen geradezu hernieder. Das selbstentdeckende Lernen, Lieblingsthema der fortschrittlichen Pädagogik, erscheint vor dieser Kulisse allenfalls wie eine theoretische Schwärmerei. Heutige Eltern greifen häufiger in den natürlichen Reifungsprozess ihrer Kinder ein. Dies geschieht in der Meinung, das Tempo der körperlichen und geistigen Entwicklung beschleunigen zu können. Aber jede Art der Gängelei, auch die wohlmeinende, lähmt sowohl Entdeckerfreude als auch Antriebskraft des Kindes.

Und die Frühförderung? »Der Versuch, etwas zu tun, obwohl der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, birgt Gefahren in sich. Das Kind strengt sich dabei unnötig an und verliert das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit«, warnte der 1984 verstorbene Physiker und Körper­forscher Moshe Feldenkrais. Er riet davon ab, Kinder zu speziellen Übungen anzuhalten, so lange die körperliche Reife dafür fehlt. Analoges gilt für die geistige Ebene.

Einige Tage nach dem geschilderten Vorfall begegnete mir wieder ein radfahrendes Kind in Begleitung Erwachsener. Der Mann — offensichtlich der Vater — rief dem etwa sechs Jahre alten Jungen zu: »Vorsicht, Pfütze! Fahr nicht durch, du machst dich schmutzig!« Auch Eltern früherer Generationen waren nicht begeistert, wenn Sohn oder Tochter schmutzig nach Hause kamen. Doch was bedeutet es schon, ausgescholten zu werden im Vergleich zum Gewinn an Erfahrung und Freude, die beim unbeaufsichtigten Spiel gesammelt werden konnten! Gibt es etwas Schöneres, als mitten durch eine Wasserpfütze zu pflügen?

Wo sind heute Freiräume für Kinder, um die Welt erproben und eigene Grenzen selbstverantwortlich austesten zu können? Wie steril ist doch das verplante Heranwachsen unter lückenlosen Kontrollbedingungen!

Niemand wird allen Ernstes behaupten, dass früher alles besser gewesen sei. Aber anders war es gewiss.

Peter Stolz

 
 
 
   
 

 



Kommentare zu diesem Beitrag:
von B. B. (10. August 2012, 23:16):
Gefällt mir, was Sie da schreiben, Herr Stolz. Ihre Wahrnehmung entspricht vollkommen der meinen.
Früher war nicht alles besser als heute, da gebe ich Ihnen Recht. Das meiste aber war es nach meinem Dafürhalten. Kinder wachsen heute in den meisten Bereichen enorm unnatürlich auf. Entweder sind sie überbehütet oder sie "genießen" Freiräume, die sie überfordern und nicht gewinnbringend nutzen können. Sie schweben ständig zwischen Gängelung durch die Erwachsenen und zu großem Vertrauen in ihre Einsicht.
 

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