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Handschrift und Lernen

 
13. September 2012
Handschrift und Lernen
Kategorie: Schriftkultur
 

foto: Gerd Altmann / pixelio
 
   
 

Entschleunigung durch Handschrift

Eine der wirksamsten Tempobremsen ist und bleibt das Schreiben mit der Hand. Leider ist in allen Schulstufen das Schreiben aus der Mode gekommen. Ist das Schreiben mit der Hand überflüssig geworden? Richtig ist, daß die heutige Technik indirekte Kommunikation ermöglicht, und zwar auch jenen, die bloß  rudimentäre Schreibkenntnisse besitzen. Automatische Korrekturprogramme sorgen für diskrete Beseitigung von Rechtschreib- und Grammatikfehlern. Schriftstücke können aus fertigen Bausteinen zusammengesetzt werden. Wozu also die Pflege der Handschrift?

Der weitgehende Verzicht von Handschrift bei der Wissensvermittlung im Schulunterricht könnte sich jedoch früher oder später als erheblicher Nachteil herausstellen. Schuld daran ist der unterschätzte Zeitfaktor. Das lernende Gehirn benötigt eine gewisse Zeitspanne, um das neue Wissen zu verarbeiten und in das bereits vorhandene Wissensgefüge einzugliedern. Die Effizienzbestrebungen der fortschrittlichen Schulpädagogik beruhen auf einem fundamentalen Irrtum: durch Entsorgung von vermeintlichem »Ballast« und Beschleunigen des Lernvorgangs könne sich das Schulkind immer mehr Wissen und Können innerhalb kürzerer Zeitabschnitte aneignen. Wer solchen Hokuspokus für ernst nimmt, hat nicht begriffen, was Lernen ist.

Lernen heißt Wachsen

Lernen heißt Wachsen, und Wachsen ist kein technischer Vorgang, sondern ein naturgesetzlich sich vollziehender, selbstregelnder Prozeß; dessen Rhythmus läßt sich nicht beliebig verändern. Willkürliche Eingriffe stören jedoch empfindlich und können das Lernen sogar blockieren. Lernen braucht eine gewisse, vorgegebene Zeit. Ein zu hohes Unterrichtstempo bringt den Schüler keineswegs schneller ans Ziel, im Gegenteil: das zwangsläufige Versagen verursacht beim Kind Gefühle der Unsicherheit und auf lange Sicht sogar kognitive Schwächung.

In höheren Schulstufen gelingt die im Unterricht angestrebte geistige Durchdringung eines Lernstoffes nur bei gedrosseltem Tempo. Deshalb sind die beliebten Schnell-Lese-Kurse abzulehnen. Der Lernende, der ja immer auch ein Anfänger ist, braucht keinen „Schwung", sondern dessen Gegenteil: Langsamkeit, Sorgfalt, Genauigkeit.* Mit zunehmender Übung entsteht dann das Schwungvolle und Leichte von selbst.

Handschrift ist ehrlich

Beim Schreiben mit der Hand stellt sich eine optimale Lerngeschwindigkeit ein. Gewiß, das kostet Zeit! Außerdem wirken die mit Hilfe der Technik sauber ausgedruckten Texte perfekt. Es gibt wohl kaum jemanden, der sich der Illusion von Perfektion ganz entziehen kann. Die Gefahr dabei ist, daß der Lern- und Erkenntniswert auch in Prüfungssituationen als nachrangig angesehen wird. Abladen, ausdrucken, abheften – der Dreisprung des modernen Schülers. Jeder fängt mit kleinen Sprüngen an. Was sich als erfolgreich erweist, wird schnell zum Lebensrezept, auch Doktoranden sind nicht vor der Versuchung gefeit. Druckwerke können lügen, Handschrift ist ehrlich.

Worum geht es in der Schule? Genügt uns eine Show, dann laßt uns so weitermachen wie bisher, zeitsparend, glatt und »mit Schwung«. Oder ist eine Weitergabe der Kulturtechniken (und Inhalte!) an die Folgegenerationen erwünscht? Vielleicht doch mit ein bißchen echter Bildung? Dann sollten wir unsere Kinder dazu anhalten, mit der Hand zu schreiben. Das Exzerpieren wichtiger Begriffe und Sätze aus einem Text dauert länger und ist mühsam. Jedoch bewirkt es lernpsychologisch ungleich mehr als das flüchtige Lesen eines Bildschirmausdrucks. Beim Schreiben werden neue Informationen dauerhaft im Gehirn eingespurt. Es entsteht Bildung.

Karin Pfeiffer

 


* Der »Grundschulverband«, eine rührige private Interessenvertretung mit bestem Draht zur Politik, betreibt selbst »mit Schwung« einen geschickte Werbefeldzug in Sachen »Grundschrift«, die nach Plänen der Geschäftsführung in allen Grundschulen eingeführt werden soll, mit Hilfe der Schulpolitik. In Hamburg ist es bereits so weit.
Da die »Grundschrift« eine Druckschrift und keine Schreibschrift ist, eignet sie sich nicht für flüssiges, schnelles Schreiben. Um dieser Kritik bereits im Vorfeld zu begegnen, lautet der pfiffige Verkaufsslogan des Unternehmens: »Schreiben mit Schwung!« Daß Schreibanfänger nicht mit Schwung, sondern langsam, sorgfältig und genau arbeiten müssen, um sich eine lesbare und flüssige Schrift aneignen zu können, darauf weist auch die erfahrene Grundschullehrerin Ute Andresen immer wieder hin. Das folgende Zitat stammt aus einem Beitrag in der taz (6.10.2010): »Man muss sich nicht quälen, wenn man lernt, schön und leserlich zu schreiben. Aber hastig und ohne gründliche Übung gelingt es nicht. Nur wenn klare Bewegungsmuster sehr oft langsam und gleichförmig wiederholt werden, geraten sie allmählich schlank und elegant, bis sie aus der Hand fließen.«

 
   
 

 



Kommentare zu diesem Beitrag:
von Annette K. (16. September 2012, 12:02):
Kann sich noch jemand an Gutti erinnern?
 
von M. N. (05. November 2012, 14:21):
Das stimmt absolut! Ich lasse viel schreiben im Unterricht, und das tut uns allen gut. Es wird dabei ruhiger, und die Handmotorik wird besser. Ich muss auch zugeben, dass eine schöne Handschrift irgendwie ansprechender ist. Wenn jemand eine Sauklaue hat, macht mich das schon misstrauisch. Wenn ich mir selbst was merken will, schreibe ich es immer auf.
 

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