| Fragt sich also, was der Zweck des Schreibens ist! Diese Frage ist nicht überflüssig. Daß sie aufgeworfen werden muß, ist allerdings, man muß schon sagen, beschämend. Denn so viel auch über die Schrift und Schreibung und Rechtschreibung geredet und geschrieben wird, tagaus und tagein: keiner von all den vielen berufenen und unberufenen, gelehrten und ungelehrten Rufern im Streit, die eine Neugestaltung unserer Schreibweise verlangen, scheint sie jemals ernstlich bedacht zu haben. Sie alle stehen offensichtlich auf dem naiven Standpunkt, die Schrift sei eben – zum Schreiben da! Unausgesprochen liegt diese Auffassung all ihren Erwägungen und Überlegungen, Forderungen und Folgerungen zugrunde. Die Schrift ist keineswegs zum Schreiben da. Diese simple Erkenntnis – wann wird sie sich endlich einmal durchsetzen? Wann endlich wird sie im Bewußtsein vor allem all derer Wurzel geschlagen haben, die über Fragen des Schreibens, besonders der Rechtschreiblehre, reden und schreiben, damit ihr Reden und Schreiben endlich eine wirkliche feste Grundlage und ein unangreifbares Ziel gewinnt? Die Schrift ist wie die Lautung dazu da, unsere Gedanken zum Objekt, zum sinnlich wahrnehmbaren »Gegenstand« für andere Menschen zu machen. Die mündliche Rede soll gehört, die Schrift gelesen werden. Wie jene den Hörer anspricht, so wendet sich diese an den Leser. Zweck der Schrift ist, einem Leser »in die Augen zu fallen«, gelesen zu werden. Das ist so selbstverständlich, daß man schon einige Hemmungen überwinden muß, um überhaupt noch davon zu reden. Wenn man aber lange Aufsätze über Fragen der Rechtschreiblehre zu Gesicht bekommt, in denen von Lesen und Lesbarkeit überhaupt nicht die Rede ist, dann bleibt nichts anderes übrig, als mit unüberhörbarer Deutlichkeit zu verlangen, daß endlich einmal ernst gemacht wird mit dem Satz: Geschrieben wird für den Leser! | |