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Die Schrift ist nicht zum Schreiben da

 
23. August 2012
Die Schrift ist nicht zum Schreiben da
Kategorie: Besser lernen
   
 Vom Zweck des Schreibens
Friedrich Roemheld

 
 

Fragt sich also, was der Zweck des Schreibens ist! Diese Frage ist nicht überflüssig. Daß sie aufgeworfen werden muß, ist allerdings, man muß schon sagen, beschämend. Denn so viel auch über die Schrift und Schreibung und Rechtschreibung geredet und geschrieben wird, tagaus und tagein: keiner von all den vielen berufenen und unberufenen, gelehrten und ungelehrten Rufern im Streit, die eine Neugestaltung unserer Schreibweise verlangen, scheint sie jemals ernstlich bedacht zu haben. Sie alle stehen offensichtlich auf dem naiven Standpunkt, die Schrift sei eben – zum Schreiben da! Unausgesprochen liegt diese Auffassung all ihren Erwägungen und Überlegungen, Forderungen und Folgerungen zugrunde.

Die Schrift ist keineswegs zum Schreiben da. Diese simple Erkenntnis – wann wird sie sich endlich einmal durchsetzen? Wann endlich wird sie im Bewußtsein vor allem all derer Wurzel geschlagen haben, die über Fragen des Schreibens, besonders der Rechtschreiblehre, reden und schreiben, damit ihr Reden und Schreiben endlich eine wirkliche feste Grundlage und ein unangreifbares Ziel gewinnt?

Die Schrift ist wie die Lautung dazu da, unsere Gedanken zum Objekt, zum sinnlich wahrnehmbaren »Gegenstand« für andere Menschen zu machen. Die mündliche Rede soll gehört, die Schrift gelesen werden. Wie jene den Hörer anspricht, so wendet sich diese an den Leser. Zweck der Schrift ist, einem Leser »in die Augen zu fallen«, gelesen zu werden. Das ist so selbstverständlich, daß man schon einige Hemmungen überwinden muß, um überhaupt noch davon zu reden. Wenn man aber lange Aufsätze über Fragen der Rechtschreiblehre zu Gesicht bekommt, in denen von Lesen und Lesbarkeit überhaupt nicht die Rede ist, dann bleibt nichts anderes übrig, als mit unüberhörbarer Deutlichkeit zu verlangen, daß endlich einmal ernst gemacht wird mit dem Satz:

Geschrieben wird für den Leser!

 
   
 

Dieser Text stammt aus folgender Veröffentlichung:

Friedrich Roemheld. Die Schrift ist nicht zum Schreiben da. Vom Wesen der deutschen Rechtschreiblehre. 2. Auflage 1981. Hg. Bund für deutsche Schrift, Ahlhorn

 
   
 

• Literaturhinweis:

• Damit du es lesen kannst
• Der Handschrift-Trainer

• Ute Andresen: Künstlich erzeugter Schriftwirrwarr

 

 


Kommentare zu diesem Beitrag:
von K. M. (14. August 2012, 21:29):
Doch, die Schrift dient zunächst dem Schreiben, wenngleich sie im Endeffekt an den Leser gerichtet ist, der man auch selbst sein kann. Siehe Notizzettel.
Vor dem Lesen steht jedoch das schriftliche Festhalten dessen, was gesagt werden soll. Also ist die Schrift im ersten Schritt zum Schreiben da.
 
von Hanno (16. August 2012, 00:07):
Das ist ein Gedanke (Streit) um des Kaisers Bart. Natürlich ist die Schrift letzten Endes für den Leser da, aber zuerst mal als Möglichkeit für den Schreiber, sein Anliegen per Schrift festzuhalten.
 
von Pumuckl (18. August 2012, 06:27):
Ich dachte zuerst auch: so ein Unsinn. Aber vielleicht stimmt es doch: ein Auto ist ja auch für den Fahrer da, also für den, der das fertige Auto kauft. Das Auto ist nicht für den Produzenten da, also für den, der es herstellt. Der Benutzer muss damit klarkommen. Natürlich muss auch der Herstelluntgsprozess einfach sein, aber immer mit Blick auf den Benutzer. Ein Auto, bei dem man auf wichtige Einzelteile verzichtet, bloss weil sie so schwierig einzubauen sind und das Einbauen viel Zeit kostet, nützt dem Benutzer nichts.
Auch wenn der Vergleich ein wenig hinkt, aber er hilft schon zu begreifen, weshalb die Schrift für den Leser (Autofahrer) da ist und nicht für den Schreiber (den Autobauer).
 
von Karin Pfeiffer (18. August 2012, 08:53):
An die Vorkommentatoren:

Natürlich ist die Voraussetzung von Schrift, daß sie überhaupt „schreibbar“ ist und in der Handhabung praktisch. Träfe dies nicht auf unsere Schrift zu, dann gäbe es sie gar nicht. Millionen Menschen benutzen unser Schriftsystem seit Generationen, unzählige Schriftwerke lagern in Bibliotheken.
Schreibbarkeit ist aber bloß die eine Seite der Medaille. Die zweite ist Lesbarkeit. Beide Voraussetzungen, Schreibbarkeit und Lesbarkeit, müssen erfüllt sein, wobei eines vom anderen nicht zu trennen ist. Es handelt sich bei der Betrachtung dieser Sachverhalte weder um einen „Streit“, noch um den des „Kaisers Bart“. Die Dinge liegen nämlich ganz klar und offen zutage, wenn man nicht nur flüchtig hinschaut, sondern sich gedanklich eingehend damit befaßt.

Schrift dient der „Konservierung“ von Gedanken. Die „Aufbewahrung“ der Sprache in Form von Verbildlichung (Schrift) dient einerseits dem Schreiber selbst (Notizzettel, Tagebuch etc.), hat aber überwiegend sozialen Charakter, weil sie sich an Mitmenschen richtet. Über Schrift erfolgt die mittelbare Kommunikation mit Personen, die sich zur Zeit der Niederschrift nicht am selben Ort aufhalten bzw. die Mitteilung zu einem späteren Zeitpunkt entschlüsseln möchten. Wer schreibt, der bleibt, heißt es im Volksmund. Was ich heute niederschreibe, kann man zu jeder Zeit, also auch nach meinem Ableben, lesen. Schriftstücke sind Dokumente. Ihren Dokumentcharakter erhalten sie, weil die von mir gemachte Aussage für andere Menschen verständlich bleibt, auch wenn darüber viel Zeit vergeht. Ein Dokument ist etwas Verbindliches. Die ständige Veränderung der Schriftkonvention wäre diesem Zweck entgegengerichtet. Dauernde „Reformen“ oder Updates der Rechtschreibung führten auf Dauer dazu, daß Niederschriften nach einer gewissen Zeitspanne ihre Eindeutigkeit verlören. Schrift darf also nur in sehr begrenztem Rahmen persönliche Elemente enthalten, wenn sie nicht zu abstrakter Kunst werden soll. Der Kunst ist bekanntlich alles erlaubt und nichts verboten.

Wir aber reden von Schrift. Die zweite Medaillenseite – das Lesen und Verstehen von bereits vorhandener Schrift – wird häufig übersehen. Die Norm, durch die das ermöglicht wird, ist uns so selbstverständlich, daß wir meinen, sie weder beachten noch pflegen zu müssen. Seit geraumer Zeit wird sogar bewußt darauf verzichtet, den Schülern die gültigen Normen der Schriftsprache systematisch zu vermitteln. Viele Lehrer aber machen täglich die Erfahrung, daß Schrift nur lesbar ist, wenn sie den allgemein praktizierten Regeln für Verschriftung folgt. Diese beginnen bei der tradierten Form der Buchstaben und der Typographie insgesamt, und sie enden bei der normierten Buchstabenfolge – der vielgeschmähten Orthographie. Wer schreibt, muß sich nach dieser Norm richten, ob es ihm gefällt oder nicht: allein der Lesbarkeit willen. Eine Schrift, die lediglich der Bequemlichkeit des Schreibers diente, indem sämtliche Konventionen mißachtet werden, wäre unlesbar und besäße keinerlei Mitteilungswert.

Dem Schulunterricht kommt beim Erlernen der Kulturtechnik Schrift stets eine herausragende Rolle zu. Kinder sollen vom ersten Schultag an die Norm des Schreibens erlernen, also das, was üblich ist. Zumindest wurde diese Vorgehensweise vor nicht allzu langer Zeit für selbstverständlich erachtet. Heute scheint sich das Blatt zu wenden. Eine Gesellschaft kann natürlich bewußt darauf verzichten, der nachfolgenden Generation das Schreiben nach herkömmlichen Vorgaben zu vermitteln. Es muß jedoch dabei eines klar sein: es handelt sich hierbei um ein Experiment mit ungewissem Ausgang.

Aus dem Gesagten dürfte nun klar hervorgehen, weshalb Schrift zum Lesen da ist, nicht zum Schreiben. Die Meinung, Schrift sei zum Schreiben da, ist eine verkürzte Sichtweise, die aus der Gewöhnung an das Bestehende resultiert. Dabei hat der Betrachter bloß den Entstehungsprozeß im Auge. Diese einseitige Betrachtungsweise hat uns dazu verführt, die traditionelle Orthographie vereinfachen zu wollen, damit es der Schreibschüler einfacher hat. Der Leser gerät dabei gänzlich aus dem Blickfeld. Jeder Lehrer weiß ein Lied davon zu singen, wie sehr das Lesen erschwert wird, wenn Buchstaben verformt sind und Wörter in ständig wechselnder oder ungewohnter Schreibweise erscheinen.

Dem „Pumuckl“ danke ich für sein nur vermeintlich „hinkendes“ Autobild. Mir gefällt es, und ich glaube, auch Friedrich Roemheld hätte daran seine Freude.

Karin Pfeiffer
 
von Marion (18. August 2012, 10:36):
Hätte nie gedacht, dass ich mir eines Tages Gedanken darüber machen würde, für wen die Schrift da ist, obwohl diese Überlegung nahe liegt. Danke darum für den Denkanstoß!
Klar ist sie für den Leser da, was Sie, Frau Pfeiffer, sehr einleuchtend und ausführlich unterstreichen.
Trotzdem beschäftigt mich noch Hannos Meinung auf dem Hintergrund von Pumuckls "Gleichnis".
Ist das Auto nicht auch für den Autobauer da? Hat er nichts von dessen Herstellung?
Vielleicht ist diese Frage aber auch zu spitzfindig.

 
von Karin Pfeiffer (18. August 2012, 13:06):
Liebe Marion,
natürlich hat der Autobauer etwas von der Herstellung, sonst würde er keine Autos bauen! Der Gewinn, den er aus der Produktion von Fahrzeugen erzielt, ist aber ein gänzlich anderer als der Vorteil des Käufers. Der Autobauer stellt nicht für sich selbst Autos her, sondern für den Kunden. Er erbringt also eine Dienstleistung, die von den Käufern nachgefragt wird. Der Käufer erwartet zu Recht, daß das Fahrzeug leicht zu bedienen ist und gut fährt: also seinen Zweck erfüllt. Die Mühe und Arbeitsleistung, die in einem funktionierenden Fahrzeug stecken, wird dem Autohersteller mit der Bezahlung des ausgehandelten Preises entgolten. Mit dem erzielten Gewinn kann der Autobauer seine privaten Bedürfnisse erfüllen und, wenn er klug wirtschaftet, den Überschuß investieren in die Modernisierung oder Vergrößerung seines Betriebes (und in Arbeitsplätze!). DAS ist, was der Autohersteller von der Produktion guter Autos hat. Produzent und Kunde gehen ein Geschäft ein, wie das in der arbeitsteiligen Wirtschaft üblich ist.

Sie sehen, Marion: der Käufer profitiert in völlig anderer Weise von dem Fahrzeug als der Hersteller desselben. Und nun kommen wir zurück zur Schrift. Bei der Produktion von Schrifterzeugnissen erkennen wir nun eine Analogie. Stellen Sie sich vor, ein Verleger würde Bücher herstellen und auf dem Markt anbieten, die sehr fehlerhaft sind, und deren Texte man nur mit Mühe lesen könnte, weil aus finanziellen und zeitlichen Gründen die Arbeit des Lektors und Korrektors eingespart werden kann. Würde dieser Verlag auf lange Sicht Käufer für seine Bücher finden? Und wie ist es mit Briefen, die ein Kind an die Großmutter schreibt, welche leider unlesbar sind, weil das Kind nicht gelernt hat, Buchstaben und Orthographie regelkonform zu beherrschen? Vielleicht würde die Großmutter aus Liebe so tun, als freute sie sich. Sie ist ja auch mit dem Kind verwandt. Man schreibt aber in seinem Leben nicht nur für Verwandte. Und jedes Kind wird einmal erwachsen. Der fehlerstrotzende Brief des volljährigen Enkels dürfte bei der Großmutter kaum Entzücken hervorrufen.

Jeder Unternehmer, ob Autobauer oder Verleger, muß sich nach den Bedürfnissen der Kunden richten. Der Kunde (Abnehmer, Käufer) der Schrift ist der Leser! Der Leser will keine Rätsel lösen, sondern störungsfrei an Informationen oder Unterhaltung gelangen, das ist sein gutes Recht. Niemand kann ihn zwingen, fehlerhafte und schlecht lesbare Texte zu entziffern. Es ist im Grunde ganz einfach zu verstehen: Wer schreibt, hat eine Bringschuld!

Schrift hat als Tauschprodukt einen Zweck zu erfüllen, über den nicht der Schriftproduzent entscheidet, sondern der Konsument (Leser). Jeder Hersteller von Produkten oder Dienstleistungen, die auf dem freien Markt angeboten werden, muß sich wohl oder übel nach dem psychologisch begründeten Grundgesetz der Ökonomie richten.

Es ist wirklich schwierig, Selbstverständliches zu denken - und noch schwieriger, es in Worte zu kleiden. Ich hoffe dennoch, mich verständlich gemacht zu haben.

Ein schönes Wochenende wünscht
Karin Pfeiffer
 
von Marion (18. August 2012, 14:42):
Ja, Sie haben sich absolut verständlich gemacht. Ich hatte das Wort "für" (den anderen bzw Fahrer) fälschlicherweise mit "selbstlos" assoziiert.

Herzlichen Dank und verleben auch Sie ein schönes Wochenende!
Marion
 
von Karin Pfeiffer (06. September 2012, 10:29):
Ein aussagekräftiger Beitrag von Ute Andresen in der taz - siehe Link unter dem Text.
Alle, denen Schrift am Herzen liegt: bitte lesen!
 

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