Zum Schulbeginn Liebe Lehrer, liebe Eltern! Schulisches Lernen bedeutet, sich einen Stoff geistig einzuverleiben. Dieser Prozess wird in Gang gesetzt durch aufmerksames Lesen, Wiederholen und Memorieren. Es mag für Schüler bequem sein, Kästchen anzukreuzen, man trifft per Zufall oft das richtige und ist schnell mit seinen Aufgaben fertig. Es mag auch bequem sein, einen Text bloß mal eben durchzulesen und ihn dann als »erledigt« in einer Mappe abzuheften. Unterhaltsam ist auch das beliebte »Diskutieren« über komplexe Sachverhalte, die man doch erst kennenlernen müsste, ehe man dazu eine Meinung haben kann. Ernsthaftes Lernen und leerer Aktionismus sind auf den ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Das Lesen von Texten sollte stets begleitet sein von Fragen, die exakte Antworten verlangen. Das regt zum Nachdenken an. Um das aufmerksame Lesen und Mitdenken kommt der Schüler nicht herum, wenn er weiß, dass er anschließend Fragen beantworten soll — ein Ziel jedes schulischen Unterrichts! Fragen sollen ausführlich und in gut formulierten, ganzen Sätzen beantwortet werden. Jeder Sachunterricht ist zugleich auch Deutschunterricht. Antwortsätze sollten orthographisch und grammatisch korrekt sein. Denken und Sprache hängen eng zusammen. Oberflächlich in Bildern, Schlagwörtern oder Satzfragmenten zu denken ist keine Kunst, die an der Schule eigens gelernt werden muss. Exaktes Formulieren aber sehr wohl. Richtiges und ganzheitliches Lernen kostet Zeit. Der Weg aber sei unser Ziel! Verweilen wir, wo es nötig ist. Auch Pausen gehören zum Fortschreiten und Verstehen. Der Schüler soll sich Zeit nehmen und Antworten mit Sorgfalt formulieren. Die Erwachsenen wiederum bitte ich, sich Zeit zu nehmen, um auf die individuellen und vielfältigen Antworten einzugehen. Freilich, schablonenhaftes Abhaken von Multiple-Choice-Tests ist rasch erledigt. Aber welchen Gewinn haben wir davon? Keine noch so große Zeitersparnis rechtfertigt dieses Tun, denn es bringt dem Schüler keinerlei nennenswerten Zuwachs an Erkenntnis und Können. Das pädagogische Credo vom »selbständigen Lernen« wollen wir nicht absolut setzen. Dogmatische Glaubensformeln richten nicht nur in der Pädagogik Schaden an. Bleiben wir offen und auf das Lebendige gerichtet. Kinder können, wenn sie lernen, dies gar nicht anders als »selbständig« tun! Wer das Denken nicht selbst erledigt, sondern anderen überlässt, hat auch nichts gelernt. Jedes Schulkind wünscht sich rege Anteilnahme durch den Erwachsenen, denn allein diese gibt dem Lernen einen Sinn und motiviert zum Durchhalten sogar in schwierigen Situationen. Gleicht das Kind darin nicht uns selbst, die wir uns täglich aufs Neue dazulernend durchs Leben mühen? Auch wir Erwachsenen möchten unsere täglichen Anstrengungen von unserer Umgebung gewürdigt wissen! Karin Pfeiffer |