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Geteiltes Leid ...

 
19. August 2010
Geteiltes Leid ...
Kategorien: Gesundheit | Besinnliches

 
Foto: Petra Morales / Pixelio

Trainingslauf im Regen
und eine Begegnung

Neulich schnürte ich wieder einmal meine Laufschuhe. Der Himmel leuchtete freundlich herunter, und so begann ich frohen Sinnes meine Traditionsrunde am Flußufer. Nach nicht einmal zehn Minuten spürte ich die ersten Tropfen. Der Himmel hatte sich verdüstert. Trotzig trabte ich weiter: jetzt erst recht! Bald schon sprühte es heftig aus der Himmelsgießkanne herunter auf Wege, Bäume, Sträucher und mich. Ich war froh über den Anorak, den ich mir im letzten Moment übergezogen hatte.
Allmählich ließen die Schuhe das Wasser durch, die Ärmel der Regenjacke klebten an den Unterarmen. Mürrisch setzte ich meinen Weg fort, düstere Gedanken schlichen sich in mein Gehirn. Wann immer ich mich dazu entschließe, laufen zu gehen, radzufahren oder Urlaub zu machen, zieht eine Regenfront auf. Eine maliziöse Stimme grantelte: »Du kannst dich als Regenmacher verdingen!« Die Laune war mir verdorben, und so war ich froh, als ich die Brücke erreichte, die ich überqueren konnte, um nach Hause zu gelangen.

Als ich hinter der Brücke auf den Treppelweg abbog, erblickte ich etwa hundert Meter vor mir einen anderen Läufer. Sofort stieg meine Laune. Der arme Kerl! Er war nicht einmal wie ich durch Jacke oder Mütze vor dem Regenguß geschützt. Ich bedauerte ihn tief. Wie sich das anfühlt, wenn es aus dem Haar pitschnaß in das Trikot hinein und am ganzen Körper hinunterläuft, ist mir wohlvertraut. Der Mann lief mein Tempo, und so behielt ich ihn in Sichtweite, bis sich unsere Wege trennten. Zu Hause quälte ich mich aus den nassen Kleidern und dachte, daß es dem anderen ebenso ergehen werde. Das änderte zwar nichts daran, daß ich triefend naß war, doch meine Stimmung war aufgeklärt.

Wir Menschen sind doch seltsame Geschöpfe! Die simple Tatsache, einen Leidensgenossen auch nur von ferne zu sehen, lindert den eigenen Kummer. Nicht etwa, weil man dem anderen gönnt, was einem selbst an Widerwärtigem beschieden ist, oh nein! Es ist das Bewußtsein, daß man nicht allein zu kämpfen hat auf dieser Erde. Geteiltes Leid ist halbes Leid, so weiß der Volksmund. Die eigentümliche Auffassung, man sei der einzige Unglücksvogel auf diesem Globus, kann einem schon zu schaffen machen. Gut, daß man dann und wann auf einen Läufer im Regen trifft.

Karin Pfeiffer

 



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