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Von großen und kleinen Aufgaben

 
06. Januar 2013
Von großen und kleinen Aufgaben
Kategorie: Besinnliches
   
 Eine große unerledigte Aufgabe bildet ein unüberwindliches Hindernis für die Erledigung zahlreicher kleiner Aufgaben.

Es ist nicht lange her, da kostete mich die Erledigung täglicher Routineaufgaben große Überwindung. Ich erkannte die Ursache, gleichwohl konnte sie nicht beseitigen. Die unbewältigte Aufgabe lag vor mir wie ein gewaltiges Bergmassiv. Ich schob die große Aufgabe vor mir her und fühlte mich täglich erschöpfter und mutloser, weil ich viel wertvolle Zeit mit sinnlosem Tun vergeudete.

Das Lebensgefühl, das sich in solcher Lage einstellt, ist gedrückt. Der Gedanke an die unerledigte Aufgabe verdunkelt die Tage. Man füllt diese mit nebensächlichen Tätigkeiten aus und läßt doch das Wesentliche liegen. Manch kleine Pflicht landet im Papierkorb, wenn man nur lange genug wartet. Das Grundlegende aber harrt geduldig der Lösung, und je länger wir uns einer wichtigen Aufgabe verweigern, desto mehr bedrängt uns diese. Entdeckerfreude und Lebenslust versickern im sumpfigen Feindesgelände des „Ich müßte dieses oder jenes endlich anpacken!"

Die Hilflosigkeit des Schulversagers

Schulversager befinden sich in einem Teufelskreis aus Hilflosigkeit. Sie sind wie gelähmt, wenn sie den Berg der unerledigten, großen Aufgabe vor sich sehen. Den kleinen Anforderungen des täglichen Unterrichts gegenüber fühlen sie sich nicht mehr gewachsen, denn der unbewältigte Aufgabenberg überschattet alles. So kann es kommen, daß ein Schulkind nicht einmal mehr die geringsten Lernanstrengungen unternimmt.

Kein Mensch auf der Welt ist in der Lage, das Problem eines Mitmenschen zu lösen. Dieser schmerzhafte Erkenntnis müssen sich auch Eltern und Lehrer stellen. Das Kind kann seinen Berg nur selbst abtragen. Depression oder Hyperaktivität werden erst verschwinden, wenn die »große Aufgabe« bewältigt ist: Lesen, Schreiben, Rechnen. Das Versagen in diesen wesentlichen Bereichen des Lernens blockiert alles übrige schulische Tun.

Schritt für Schritt zum Erfolg

Große Aufgaben werden niemals über Nacht bewältigt. Wie der Bergwanderer setzt der Lernende einen Fuß vor den anderen, kaum merklich gewinnt er an Höhe, manchmal geht es wieder ein Stück bergab. Auf diesem anstrengenden Weg brauchen die Kinder liebevolle Begleitung. Wenn wir sie allein losschicken, werden viele von ihnen angesichts der »großen Aufgabe« scheitern. Da nützt es nichts, ihnen zahlreiche Verhaltensregeln, reichlich Proviant und raffinierte technische Ausrüstung mit auf den Weg zu geben. Hilfreicher ist die persönliche Begleitung und das Beispiel eines geliebten Menschen, der auf schwierigen Wegpassagen vorangeht. Kinder lernen nur von Menschen die sich persönlich kümmern, mitgehen und jeden Lernschritt aufmerksam begleiten. Ein solcher Weg macht Mühe: nicht nur dem Kind, auch dem Erwachsenen. Dessen müssen wir uns klar werden, denn mir scheint, es ist ein wenig in Vergessenheit geraten.
Appelle an den Willen des Kindes, Moralpredigten, formelle Verhaltensvorgaben oder aber das vernachlässigende »Mach mal selbst!« erzeugen Schuldgefühle oder Wut, und beides nagt am kindlichen Selbstgefühl.

Seit ich begonnen habe, meinen »großen Berg« abzutragen, klappt es auch im Alltag wieder besser. Seither ist mir klar, was zur Wiedererlangung der eigenen Handlungskompetenz notwendig ist: warmherzige Zuwendung von Mitmenschen, die Bereitschaft zuzuhören und private Zeit zu opfern. Auch wenn moderne Schulen eher an Produktionsstätten für Bildung erinnern, in denen Effizienz und Technokratie die Herrschaft zu übernehmen drohen, so wage ich doch zu behaupten: In dieser Schule gibt es immer noch Raum für Anteilnahme und Warmherzigkeit — damit die großen Aufgaben gelingen.

 

 
   
   


Kommentare zu diesem Beitrag:
von Stefanie (06. Januar 2013, 14:02):
Das haben Sie gut beschrieben, Frau Pfeiffer. Genauso ist es.
 



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