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Ein kluger Arzt

 
01. November 2015
Ein kluger Arzt
Kategorie: Erziehung

Eine blutjunge Frau stellt sich bei einem Arzt vor. Nach der Untersuchung stellt dieser eine etwas schwache Konstitution fest und rät zu gesunder Lebensführung.
»Rauchen Sie?« fragt der Arzt.
»Ja«, antwortet die Patientin.
»Wie viele Zigaretten täglich?«
»Etwa 20 bis 30.« Das ist geschönt.
Der Arzt blickt kurz von seinen Unterlagen hoch, blickt seinem Gegenüber intensiv in die Augen, und macht sich schweigend ein paar Notizen, denn diese Szene ist bereits eine Weile her, als noch kein Computer in der Arztpraxis auf dem Schreibtisch stand. Nach einer Weile legt der Herr Doktor den Schreibstift hin, erhebt sich und signalisiert damit, daß die Sprechstunde zu Ende ist. Er geleitet die junge Frau zur Tür, reicht ihr die Hand und meint trocken: »Rauchen Sie ruhig weiter. Dann werden Sie sicher nicht alt.«
Damit entläßt er die Patientin. Wie betäubt stolpert diese treppab und auf die Straße hinaus. Sie tut ein paar Schritte auf dem Bürgersteig, bleibt abrupt stehen, öffnet ihre Handtasche und zieht ein halbvolles Päckchen Zigaretten heraus, ein oranges Päckchen mit der Aufschrift »Ernte 23«. Mit Schwung wirft sie es in den nächsten Abfalleimer.
Seither sind über 40 Jahre vergangen. Seit diesem Tag hat sie keine einzige Zigarette mehr geraucht, diese junge Frau, und der Leser wird es bereits ahnen: die Patientin, das war ich.

Karin Pfeiffer

Anmerkung:
Dieser Arzt verhielt sich als kluger Pädagoge. Er schulterte die Verantwortung nicht selbst, gab auch keine guten Ratschläge, sondern konfrontierte die Betroffene mit der erbarmungslosen Natur, die nichts verzeiht. Habituelle Fehler in der Lebensführung machen sich früher oder später in Form von Krankheiten bemerkbar. Wer einem Mitmenschen dabei helfen möchte, sein Leben zu verändern, muß nüchtern und in Bestimmtheit die Folgen für unerwünschtes Verhalten aufzeigen und damit die Verantwortung an den Betroffenen selbst delegieren. Wer nicht hören will, muß fühlen, sagt ein Sprichwort. Wie unwirksam sind vergleichsweise Ratschläge, Appelle, Vorhaltungen, Befehle, Drohungen und Strafen ... Aus dem Verhalten dieses klugen Arztes können wir als Eltern und Pädagogen lernen.

 

 

 




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