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Was man sieht, und was man nicht sieht

 
07. Juni 2009
Was man sieht, und was man nicht sieht
Kategorie: Erziehung

Eltern und Lehrern ins Poesiealbum geschrieben:

Da sitzen Kinder rund um einen Tisch, vor sich Schüsseln mit der köstlichen Mahlzeit, die sie zu sich nehmen. Da tritt ein Knabe dem neben ihm sitzenden Kind unter dem Tisch gegen das Schienbein.

Das ist, was man nicht sieht.

Da schreit das getretene Kind laut auf. Der Schmerzreflex läßt es über dem Tisch nach dem Angreifer schlagen.

Das ist, was man sieht.

Mit unerbittlicher Konsequenz erfüllt sich nun das Gesetz, dem alles Leben gehorcht. Der Knabe, der sichtbar über dem Tisch zurückgeschlagen hat, wird bestraft. Des Ortes gemeinsamer Nahrungsaufnahme verwiesen, muß er unter Schimpf und Schande hungrig zu Bette gehen.

Jener aber, der im Verborgenen den Angriff listig vorbereitet und durchgeführt, bekommt, was er begehrt hat: Zuwendung und die volle Schüssel des aus der Runde Ausgestoßenen. Auf diese Weise wird uns vergolten, was wir tun oder was wir lassen, sei es nun das Gute oder das Böse. Darauf kommt es nicht an.

Was einzig zählt ist, ob man es sieht oder nicht sieht.

Karin Pfeiffer


 



Kommentare zu diesem Beitrag:
von Klaus Moitje (07. Juni 2009, 12:41):
Guten Tag Frau Pfeiffer,

so ähnlich passiert es oft genug in der Schule. Das "Opfer" wird bestraft, die "Täterin"/der "Täter" kommt ungeschoren davon, ja, erhält im schlimmsten Fall sogar noch die volle emotionale Aufmerksamkeit. Deshalb sollte nicht vorschnell reagiert oder gar sanktioniert werden, sondern wir müssen zuerst genau hinsehen und zuhören.

Frau Pfeiffer, in Ihrem Beitrag benutzen Sie in den Überschriften viermal das Wörtchen "man" und im letzten Satz noch einmal zweimal. Das irritiert mich, sind Sie doch ansonsten immer bemüht, sich sprachlich ganz korrekt aus- zudrücken.

Nun erlaubt der Duden ausdrücklich den Gebrauch dieses Wörtchens und in Deutschbüchern wird es "unpersönliches Fürwort" genannt. Vielleicht störe ich mich deshalb so sehr an diesem Wort, weil sich eben niemand angeprochen fühlen muss und es als Worthülse nichts aussagt. Von den Menschen wird es inflationär oft benutzt, und zwar unabhängig von ihrer Bildung. Ganz besonders fällt es z.B. in so genannten Talk-Shows auf, wo fast alle Gäste dieses Wort benutzen.
Schlimm finde ich auch, wenn jemand auf eine direkte Frage mit "man" antwortet.
"Haben Sie sich im Urlaub gut erholt?" "Ja, man kann nicht klagen." Ab und zu fällt den Betroffenen dann ihr eigenes unverbindliches Gerede auf, und sie greifen auf ein Pronomen zurück.

Schon Kinder sprechen dieses Wörtchen "man" ganz häufig. Was Wunder, wenn sie ständig (Zuhause und oft genug in der Schule)von entsprechenden Sprach-"Vorbildern" umgeben sind. Lesen Kinder einen Text mit häufig vorkommendem "man" und einen korrigierten ohne "man" gefällt ihnen dieser sprachlich immer besser. Das erlebte ich oft genug in meinem Unterricht.
Sätze ohne dieses Wörtchen "man" enthalten klare Botschaften, sie hören sich lebendiger an (Wiederholungen entfallen), der Satzbau wird abwechslungsreicher, und insgesamt lese ich den Text dann lieber.

Möglicherweise fiel mir dieses Wörtchen "man" auch deshalb so auf, weil ich an einer Schule eine Kollegin eines ganz bekannten Schulbuchautors kennen lernte, die ständig von "man" sprach. In den Werken ihres Mannes wimmelt es übrigens von diesem Wörtchen. Vor allem in der Aufgabenstellung hat es aus meiner Sicht nichts zu suchen, weil ich als Schüler auch persönlich angesprochen werden möchte.

Interessanterweise kommt das Wort "man" in den Nachrichtensendungen der öffentlichen Sender kaum vor. Zufall oder Absicht?

Frau Pfeiffer, wie gefällt Ihnen die Korrektur Ihrer Überschrift?

Was wir sehen, und was nicht gesehen wird.

Mit freundlichen Grüßen
K. Moitje




 
von Klaus Moitje (07. Juni 2009, 12:47):
Guten Tag Frau Pfeiffer,

ein Nachtrag und gleichzeitig eine Korrektur.

In dem letzten Satz wird "man" von Ihnen nur einmal benutzt.
Leider fiel mir mein Irrtum erst auf, nachdem ich den Text bereits abgeschickt hatte.

Mit freundlichen Grüßen
K. Moitje

 
von Karin Pfeiffer (07. Juni 2009, 16:42):
Sehr geehrter Herr Moitje,
was den gedankenlosen Gebrauch des Pronomen "man" betrifft, stimme ich ganz Ihrer Meinung zu. Der obige Text aber lehnt sich an den Titel einer Schrift an, die der Ökonom und Sozialphilosoph Frédéric Bastiat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfaßt hat. Er macht darin aufmerksam auf die unsichtbare Folgen - also die Nebenwirkungen - einer kurzsichtigen Politik. Und weil das, was er sagt, auf so gut wie alle Lebensbereiche angewendet werden kann, habe ich mir erlaubt, bei Bastiat eine Anleihe zu nehmen: "Was man sieht und was man nicht sieht" habe ich demnach, die Zustimmung des längst verstorbenen Ökonomen voraussetzend, von ihm übernommen und es auf die Pädagogik übertragen.
Übrigens ist die Schrift wirklich lesenswert! Für Interessierte:

http://bastiat.de/bastiat/was_man_sieht_und.html
 
von Emma (09. Juli 2017, 03:32):
This is both street smart and iniltlegent.
 



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