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Die gestohlene Stunde

 
27. März 2017
Die gestohlene Stunde
Kategorie: Besinnliches
 

Rätselhafte Zeit

Da wacht man eines sonnigen Morgens auf und stellt mit entsetztem Blick auf die Uhr fest: So spät schon? Ich habe wohl verschlafen!
Schon aber schiebt das noch schlaftrunkene Gehirn die Erklärung nach: Sommerzeit! Es ist eigentlich noch nicht so spät, und doch ...

Heute, mitten in der Nacht, hat man uns eine Stunde gestohlen. Wir wissen zwar, dass wir sie nach einigen Monaten wieder zurückbekommen werden, das ändert aber nichts an der Tatsache des momentanen Mangels. Dieser bedeutet den Verlust einer Stunde, um welche die nächtliche Ruhezeit beschnitten ist. 

Wie leicht sich der Mensch eine Stunde wegnehmen lässt! Die Tatsache, dass er sich überhaupt Zeit stehlen lässt, ist ein Rätsel. Mein Hündchen ließe sich das nicht gefallen; keine Minute könnte man ihm wegnehmen, ja nicht einmal eine Sekunde oder einen Bruchteil davon. Versuchte man es dennoch, lachte es die Welt aus, in unnachahmlicher Gelassenheit, wie sie nur Tieren eigen ist. Mein Zausel aber ist nicht der einzige, der gegen Diebstähle dieser virtuellen Art immun ist. Auch bei der Nachbarskatze, die so gern unsere Beete besucht – eines bestimmten Zweckes halber – ist nichts zu holen.

Die Herren der Zeit, die uns Menschen nehmen und geben, wie es ihnen beliebt, sind in ihrem Tun bei Tieren völlig erfolglos, zumindest bei jenen, die in der freien Natur leben. Auch über Pflanzen können sie nicht befehlen. Blumen öffnen und schließen ihre Blüten und Blätter nach einem Rhythmus, den die Natur vorgibt. Die Schöpfung schert sich einen feuchten Kehricht um die Uhr, eine Ausgeburt der Bürokratie, die ihre Herrschaft über die ganze Erde ausbreiten will. Alles rund um uns herum »tickt« unabhängig von den Vorschriften, die in den Amtsstuben Geltung haben. Der Mensch allein beugt sich willig unter das Joch einer künstlichen Zeiteinteilung.

Heute nacht haben wir uns wieder einmal berauben lassen. Das Leiden der nächsten Tage und Woche nehmen wir ohne Klagen hin, wenn wir uns morgens vom Lager erheben, einem dumpfen Kopfschmerz zum Trotz, mit zerschlagenen Gliedern und Schlaf in den Augen. Die verlorene Stunde Schlaf, so trösten wir uns, wird uns ja zurückgegeben, im Herbst.

Wo aber ist die Stunde?  Wo hält sie sich versteckt während der nächsten Monate, in denen wir uns daran gewöhnen müssen, anders zu »ticken« als der Rest der Schöpfung? Ist die Zeit am Ende nichts als eine Illusion? Eine Art Wahn, dem wir willig folgen, nur – weil wir an ihn glauben? Was ist denn eine Stunde? Was ist Zeit? Keiner unserer hochgelehrten Wissenschaftler hat dies jemals herausgefunden.

Wie nun kommt es, dass man uns Menschen etwas wegnehmen kann (wenn auch nur vorübergehend), von dem keiner weiß, was es ist?

Kape

 

 




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