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Damit die Kinder gesund bleiben

 
27. Januar 2009
Damit die Kinder gesund bleiben
Kategorien: Gesundheit | Erziehung

       
       
       
 

Heute schnüre ich wieder die Laufschuhe und mache meine Runde. Es ist kurz nach eins. Am Schulgebäude gibt es eine kleine Bedarfshaltestelle für den Schulbus, neu eingerichtet für ein halbes Dutzend Kinder, deren Eltern (noch) nicht bereit sind, sie im Auto zu kutschieren. Den vor Jahren auf Wunsch der Elternschaft eingerichtete Geh- und Radweg vom Schulhaus zum Ortsrand benutzen immer weniger Schulkinder. Die Strecke beträgt rund anderthalb Kilometer.

Zwei Zehnjährige warten auf den Bus. Sie spielen Fangen. Die Schulranzen liegen neben dem Bushalteschild. Ich laufe meine kleine Runde durch das Wäldchen. Als ich etwa zehn Minuten später noch einmal an der Bushaltestelle vorüberkeuche, stehen die Kinder immer noch da. Sie haben mit dem Spielen aufgehört und schauen gelangweilt in die Richtung, aus welcher der Bus kommen soll. Die Schulranzen liegen noch immer am Boden.

Ich laufe weiter und denke: Warum kommt keines der beiden Kinder auf die Idee, nach Hause zu GEHEN? Hat man ihnen den Gedanken an Selbständigkeit bereits ganz abtrainiert? Die Entfernung zu ihren Elternhäusern ist völlig ungefährlich und selbst für ein Kind überschaubar. Ist ein gesundes Kind nicht in der Lage, eine solche Strecke zu Fuß zurückzulegen? Natürlich ist es das. Und es würde ohne weiteres losmarschieren, wenn es ihm »zugemutet« würde. Die durchorganisierte, vom Schnellig- und Bequemlichkeitswahn befallene Welt aber nimmt jedem Kind selbst das ab, was es nun wirklich allein schaffen könnte: den Schulweg mit dem eigenen, wunderbaren Gehwerkzeug zurückzulegen. Dieses Stück Lebensbewältigung aus eigner Kraft ist ungeheuer wichtig. Das Kind erfährt: Ich kann das! Ich mache das allein! Für den Schulweg bin ich selbst verantwortlich und niemand anders! — Das ist Selbständigkeitserziehung vom Feinsten, nämlich als Bewährung im »Ernstfall«! 

Und weshalb lassen wir nicht zu, daß unsere Kinder dort selbständig handeln, wo sie dazu in der Lage sind? (Der Schulweg ist lediglich ein Beispiel — mancherorts liegen die Schulen zu weit vom Wohnort entfernt.) Warum gönnen wir ihnen nicht die Erfahrung, etwas aus eigener Kraft durchsetzen zu können? Weil etwas schiefgehen könnte? Nun, das gehört dazu. Wenn wir den Gedanken nicht ertragen können, daß zur Übernahme von Verantwortung auch die Möglichkeit des Scheiterns gehört, sollten wir künftig in der Pädagogik die Lernziele »Selbständigkeit« und »Verantwortung« aus den öffentlichen Lehrplänen streichen und sie nicht in wohlklingenden Sonntagsreden bis zum Überdruß strapazieren. Denn Überfürsorglichkeit und restriktive Organisation des Kinderdaseins sind nachgerade das Gegenteil dieser Lippenbekenntnisse.

Inzwischen laufe ich durch die Straßen des Dorfes. Jetzt höre ich das Röcheln des Dieselmotors hinter mir: der Schulbus überholt mich. Zwei Kinderköpfe sehe ich im Rückfenster. Die beiden Zehnjährigen sind die einzigen Fahrgäste. Hätten sie sich gleich zu Fuß aufgemacht, sie wären längst zu Hause. Dann müßten sie sich nicht in aller Hektik das Mittagessen hinunterschlingen. Denn sie wollen rechtzeitig zur Sportstunde in die Stadt aufbrechen, das Nachbartaxi wartet nicht. Körpertraining und Bewegung sind ist ja sooooo wichtig. Damit die Kinder gesund bleiben.

Karin Pfeiffer

 

 



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