An dieser wahren Geschichte aus dem Klassenzimmer mag man erkennen, dass reine Formalismen nichts taugen, wenn das Herz nicht dabei ist. Eine Entschuldigung der mechanischen Art ist so gut wie keine Entschuldigung. Vielleicht ist sie sogar schlimmer.
In den letzten Jahrzehnten bestand zunehmend die Notwendigkeit, sich mit den Schülern über deren Sozialverhalten auseinanderzusetzen. Meist geschah und geschieht dies über Kritik oder auch lehrreiche Lesestücke — verbunden mit moralinsauren Unterrichtsgesprächen.In meiner Klasse ging es eines Tages wiederholt um das Thema »Sich entschuldigen«. Anlass dazu gab ein Streit während der Pause, bei dem sich eins der Kinder zu Unrecht angegriffen fühlte und mir anschließend das Erlebnis brühwarm vorklagen wollte. Sein Gegner krähte aber schon bald dazwischen: »Ich habe mich längst bei Björn entschuldigt, aber er hat meine Entschuldigung nicht angenommen.« Eins der anwesenden Kinder bestätigte diese Aussage. Björn bestritt sie jedoch lautstark: »Das ist nicht wahr, Jens hat sich nicht entschuldigt, jedenfalls nicht so richtig! Er hat mich sogar noch mehr geärgert.« Ich forderte den Beschuldigten auf, er möge seine Entschuldigung doch noch einmal wiederholen. Er tat dies, und Björn schien zwar etwas besänftigt, aber auch hin- und hergerissen. Nach kurzem Zögern meinte er: »So war das vorhin aber nicht, da hast du das nicht so gesagt!« Die Sachlage war klar und mir kam eine Idee. Ich ging wortlos zu einem der Tafelflügel und schrieb verdeckt auf seine Rückseite drei Schülernamen. Dann erklärte ich den Kindern, dass ich mit ihnen etwas spielen wolle. Sie sollten sich vorstellen, dass ich ihnen Unrecht getan hätte — welcher Art sei in diesem Zusammenhang unwichtig — und mich jetzt bei zehn von ihnen dafür entschuldigen wolle. Diese zehn sollten auf die Form der Entschuldigung achten und danach ehrlich entscheiden, ob sie mir verzeihen wollten. Nun ging ich von einem zum anderen, schaute jenen Kindern, bei denen ich mich überzeugend entschuldigen wollte, reumütig in die Augen, säuselte tiefes Bedauern mit entsprechender Mimik und streckte ihnen mit der eindringlichen Bitte um Entschuldigung die Hand hin. Sie alle verziehen mir auf der Stelle. Bei drei Kindern hielt ich nur kurz an, knurrte ihnen ohne Blickkontakt ein zerknautschtes »Tschuldigung« zu und wendete mich dann schnell wieder ab. Diese Kinder äußerten sofort energisch, dass sie meine Entschuldigung nicht annähmen. Die Schüler, die der Szene als Beobachter beiwohnten, sollten jetzt ihre Meinung kundtun. Sie kamen zu demselben Ergebnis wie die betroffenen Kollegen und erklärten auch warum. Eifrig und treffsicher fanden alle heraus, welche Verhaltensweisen zu einer ehrlichen und überzeugenden Entschuldigung gehören. Jetzt klappte ich die Tafel auf und zeigte auf die drei Namen. Es waren exakt jene Kinder, die meine Entschuldigung nicht angenommen hatten. Ohne, dass wir noch eingehend darüber reden mussten, war jedem klar, dass man schon im Vorfeld wissen kann und auch weiß, wie die Art einer Entschuldigung auf andere wirkt. An dieser Stelle machte ich eine kurze Pause und sah eindringlich zu den beiden Streithähnen Björn und Jens. Die Klasse folgte meinem Blick und es kam zu gespannter Ruhe. Während der eine Junge befriedigt lächelte, wich der andere meinem Blick aus und fummelte nervös an seiner Federtasche herum. Schließlich gab Jens dem Erwartungsdruck nach und räumte ein: »Ja, es stimmt, ich habe mich nicht richtig entschuldigt. Aber ich war auch wütend auf Björn, weil ... Und weil wir uns immer entschuldigen sollen, hab' ich's dann auch gemacht. Ich wollte nicht, dass er sich nach der Pause beschwert.« Ich nickte zum Zeichen des Verstehens. Auch die Mitschüler hakten nicht weiter nach, weil jeder die Situation offenbar nachempfinden konnte. Auf jeden Fall war sie jetzt endgültig bereinigt. Ursula Prasuhn |