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Bitte keine Ausweise für Legasthenie!

 
23. Januar 2009
Bitte keine Ausweise für Legasthenie!
Kategorie: Schule

Bei all unseren Tätigkeiten pflegen wir das Ergebnis zu betrachten und fragen uns, welchen Nutzen es uns selbst oder der Allgemeinheit gebracht hat. Sind keine Vorteile zu erkennen, hat sich die Lage sogar verschlechtert, so müssen wir wohl oder übel unsere Handlungsstrategie kritisch überdenken.

Beispiel Schule
Kinder, die beim Lesen und Schreiben deutlich hinter den durchschnittlichen und gesellschaftlich erwünschten Leistungen zurückbleiben, sind bereits seit vielen Jahren Ziel wohlmeinender und intensiver »Behandlungsmethoden« seitens unterschiedlicher Personen oder Einrichtungen. Doch hat sich durch diese vielfältigen Hilfestellungen etwas Entscheidendes gebessert? Fast gewinnt man den Eindruck, je mehr Hilfe geleistet wird, desto schlimmer sieht es aus. Nein? Ist es vielleicht auch anders?

Technik macht bequem
Wenn wir es uns einmal recht überlegen, so haben unsere Kinder wenig Anlaß, sich mit dem Lernen der Kulturtechniken zu befassen. Für alles stehen heute technische Geräte bereit, denen man auch ohne viel Anstrengung die »Geheimnisse« der Welt entlocken kann. Es piept, quakt, plappert, erzählt, tönt, dudelt, erklärt und ermahnt aus blechernen Kästen; Bilder und Piktogramme leiten zum richtigen Handeln an. Was dem anderen mitzuteilen ist, spricht man in eine kleine Apparatur, worauf sofort die Antwort direkt ins Ohr hineinkommt, und wäre der Gesprächspartner gerade auf der anderen Seite der Weltkugel. Wozu also die Mühe auf sich nehmen, um des Lesens und Schreibens kundig zu werden? Welchen Rummel führen die Erwachsenen mit so etwas Überflüssigem auf? Lesen ist Luxus, den leiste sich, wer mag!

Keine Zeit ...
Der trübselige Trend zum Analphabetentum ergibt sich in unglücklicher Verquickung der Technik mit der modernen Lebensweise: die Eltern sind durch Job und Haushalt stark beansprucht und überlassen aus Zeitmangel die Kinder oft genug sich selbst. Zeit für Gespräche wird knapp und knapper. Lesen und Schreiben aber sind Techniken, die mündliche Gewandtheit voraussetzen. Wer nicht gut sprechen kann, tut sich beim Schreiben doppelt schwer. Und sprechen lernt man halt einmal nur im Gespräch mit einem Menschen, der es besser kann als man selbst. Deshalb gilt: Eltern müssen sich mit dem Kind unterhalten. Müssen mit ihm sprechen. So früh wie möglich, so viel wie möglich.

Legasthenieausweis
Daß Eltern und Lehrer die Vernachlässigung der Schriftsprache mit Skepsis, ja sogar mit Panik beobachten, ist verständlich. Die Richtung der nun einsetzenden »Hilfswelle« aber zeigt die ganze Hilflosigkeit, mit der unsere Gesellschaft der Gefahr begegnet. Ist es eine glückliche Entscheidung, die von Lese- und Schreibschwäche betroffenen Kinder mit Ausweisen auszustatten — ein Akt, mit dem ihnen eine Art »Krankheit«, also eine Behinderung bescheinigt wird? Ich meine, damit ist die Grenze des Anständigen in der Pädagogik überschritten. Im Vergleich zu einem wahrscheinlich geringen praktischen Nutzen wird die Einstufung der Legasthenie als Krankheit den Willen der Betroffenen lähmen, sich selbst energisch um Besserung zu bemühen. Eine Situation, die nachgerade Hilfsbedürftigkeit erzeugt, anstatt sie zu beseitigen.

Was aber dann?
Versuchen wir es doch mit folgender Überlegung: Jeder kann an sich selbst die Beobachtung machen, daß alles geistige Wachsen und Werden, alles Lernen und Können, aus eigener Anstrengung, eigenem Wollen, eigener Ausdauer hervorgehen. Den Nürnberger Trichter gibt es nicht; kein Mensch kann von außen her mit Wissen und Können »aufgefüllt« werden. Was Pädagogik leisten kann, und was viele gute Pädagogen täglich Jahr für Jahr leisten, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Lernender braucht den geistigen Mentor, der durch seine eigene Begeisterung, seinen Mut und das Vertrauen in die Schüler die Flamme des Leistungswillens zu entzünden weiß. Nicht für das Leben, nicht für die Schule — für einen geliebten Lehrer, für die Mutter, für den Vater lernen die Kinder! Das Stigma des Versagens, in Papier gegossen und für »alle Zeit« zementiert, kann nur entmutigend wirken. »Aus dir wird nie was!« So liest sich ein Ausweis für Legasthenie, übersetzt in die Sprache des Kindes. Was als Krücke gedacht ist, wird zum Holzbein. Was wohlmeinende Hilfe sein will, wird zum Hindernis.

Bei aller Ungleichheit: Lernen und Üben
Kinder bringen unterschiedliche Begabungen mit, nicht jedes Kind ist in gleicher Weise zu allem fähig. Dies gilt auch für das Lesen und Schreiben. Wir sollten das berücksichtigen, jedoch ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Es bleibt dabei: jedes Kind soll sein Bestes geben darin geben, die Kulturtechniken zu erlernen! Bis zu einem gewissen Kenntnisstand kann das auch jedes Kind leisten. Ein Ausweis ist keine Lösung. Jedes Kind benötigt eine Person, die an seinen Erfolg glaubt. Jeder Mensch muß sich das Lesen und Schreiben mühsam aneignen, es dauert viele Jahre. Die heute oft versuchten Abkürzungen bringen nicht ans Ziel; Mißerfolge bleiben nicht aus, wenn auf regelmäßiges Üben kein Wert mehr gelegt wird, weil andere Lernziele vermeintlich Vorrang genießen. Wir können kein Haus errichten, ehe nicht zuvor das Fundament gegossen ist. Der Mangel des Könnens, der in Wahrheit ein Mangel des Übens ist, erweckt den falschen Eindruck: das Kind »kann« es eben nicht. Die Zeit, die heute in der Schule zum Üben des Lesens und Schreibens aufgewandt wird, ist in den letzten Jahrzehnten immer knapper geworden ist. Dies muß sich ändern, wenn sich auch das andere ändern soll. (Lesetip»») Geben wir unseren Kindern Zeit, sich zu entwickeln. Und sprechen wir mit ihnen!

Karin Pfeiffer

 

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