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Extra-Njuuslätta Nr. 24 (ß-Schreibung)

 
18. Juni 2009
Extra-Njuuslätta Nr. 24 (ß-Schreibung)
Kategorie: Newslettertexte
Ein unliebsamer Besucher
Er will eingelassen sein

Manchmal bekommen wir Besuch, der uns nicht willkommen ist. Es ist der Zweifel - ein giftiges Männchen, rot im Gesicht, mit häßlichen Runzeln und behaarten Warzen. Er klopft an unserer Tür, und sowie wir öffnen, huscht der Zwerg zwischen unseren Beinen hindurch und ist schon drin in der guten Stube. Er macht es sich auf dem Sofa bequem, als gehöre es ihm allein. Uns gefällt das nicht. So lange der Besuch im Zimmer ist, finden wir nämlich keine Ruhe mehr und müssen immer hin und her laufen wie der Tiger im Käfig. Unser unliebsamer Besuch hockt mit gekreuzten Beinen da und glotzt verkniffenen Blickes zu uns herüber. Aus Nervosität lassen wir die Bratkartoffeln anbrennen, kleckern beim Essen, stoßen das gefüllte Trinkglas um und stolpern über die Teppichkante.

Das scheint ihn zu freuen. Uns aber reicht es. Wir wollen ihn loswerden, also packen wir ihn am Genick und befördern ihn gewaltsam hinaus. Nun kommt er postwendend durchs Schlüsselloch wieder herein und wirft sogleich mit den Hausschuhen nach uns, die wir aus Freude über den gelungenen Trick vorschnell ausgezogen haben, um es uns auf der Couch gemütlich zu machen. Jetzt geht es so richtig los. Der Gnom kneift uns an den Ohren, zwickt uns in den Bauch, zerrt uns an den Haaren, und wir kriegen die helle Wut und werfen ihn noch einmal hinaus. Schnell verkleben wir das Schlüsselloch mit Kaugummi.
Doch der Besuch ist nicht fort. Wir hören ihn poltern: er klopft ans Fenster, rüttelt an den Fensterläden, reißt an der Türklinke, schellt Sturm und veranstaltet einen derartigen Radau, daß wir ihn diesmal freiwillig hereinlassen. Der Lärm ist schlimmer als seine körperliche Anwesenheit.

»Was willst du?« fragen wir, und der Poltergeist tanzt auf dem Teppich Cha-Cha-Cha. Nun, da wir ihn hereingebeten haben, will er sich partout nicht mit uns an den Tisch setzen, um ein vernünftiges Gespräch zu führen. Er spürt genau, daß er nicht ehrlich willkommen ist. Deshalb wirbelt er im Zimmer herum und grunzt herausfordernd. Aber irgend etwas muß doch geschehen, denken wir und befehlen: »Hör zu!« Das tut er nun wirklich. Aber welcher Ärger! Sagen wir ja, sagt er nein. Sagen wir nein, sagt er ja. Sagen wir vielleicht, grölt er vor Lachen. Fragen wir, was wir tun sollen, beginnt er wieder zu tanzen, und der Teppich wirft Falten, die Vase kippt um, das Wasser überflutet den Fußboden, das Licht flackert und erlischt.

Jetzt reicht es endgültig. Zornig packen wir den ausgeflippten Kerl und setzen ihn wieder an die frische Luft. Was aber hilft das schon! Jetzt kommt der Quälgeist nämlich durch den Kamin herunter. Hätte man doch keinen! Der Gnom buddelt sich aus dem Ofen heraus und bringt gleich drei Schaufeln Asche mit. Es staubt so sehr, daß wir die eigene Hand nicht vor Augen sehen. Er brüllt und tobt herum als hätte er Wahnkohl gefressen. Aber dann plötzlich wird er wider Erwarten müde, legt sich hin und schläft ein. Erschöpft, wie auch wir sind, fallen wir ebenfalls in tiefen Schlummer. Am nächsten Morgen ist der Besuch fort. Nur das Durcheinander im Zimmer erinnert daran, daß jemand da war. Wir geben uns ans Aufräumen und werden dabei selbst ganz aufgeräumt. Jedem Morgen folgt ein Abend. Und als es Abend wird, klopft es an unserer Haustür. Den Rest der Geschichte können wir uns sparen, wir kennen sie schon.

Erlaube mir, geneigter Leser, daß ich dir einen Ratschlag gebe: Versuche nicht, das hartnäckig polternde Männlein auszusperren, das dich gelegentlich zu deinem Mißfallen besucht! Der Zweifel findet immer Wege, um zu dir zu gelangen. Es gibt kein Hindernis, das er nicht überwinden könnte. Wenn er das nächste Mal an deiner Tür klopft, öffne, lasse ihn willig herein und behandle ihn höflich. Füttere ihn mit Butterbrot, aber streiche die Butter nicht zu dick auf. Das könnte ihm schmecken, und er bleibt ganz bei dir! Gieße ihm ein Glas Milch ein, das mag er, sofern es keine »länger-frisch-Milch« aus dem Supermarktregal ist, die doch nur eine Art H-Milch und mitnichten frisch ist. Der Zweifel haßt Verlogenheit, weil er sie durchschaut. Er schätzt das Wahre und Gute. Nicht zuletzt deshalb legt er besonderen Wert auf Höflichkeit. Was er am wenigsten vertragen kann, sind Menschen, die ihn herablassend oder feindselig behandeln. Denen zeigt er seine Macht, wobei er es an Heimtücke nicht fehlen läßt.

Wenn sich der Zweifel von dir ernstgenommen fühlt, dann - du wirst es sehen - wird er sich auf einmal ganz manierlich benehmen und bereit sein, dir zu helfen. Sein häßliches Aussehen mag dich nach wie vor verwirren, aber dich zu irritieren ist nun einmal seine Aufgabe. Rede mit dem Wicht! Es wird eine gute Unterhaltung, wenn du einwilligst und ihn ernst nimmst. Zwischen all dem Unsinn, den er anfangs äußert, gibt er verblüffend kluge Hinweise, die zu befolgen ratsam ist. Daran denke, ehe du (wie auch ich und wie wir alle) geneigt bist, den unliebsamen Gast zu verlachen und ihn deiner Wohnung zu verweisen. Du kannst sicher sein: er kommt wieder, und wenn es sein muß, durch die Toilettenschüssel. Das ist der Weg, den ihm keiner versperren kann. Willst du das? Nein, nein! Wisse, der Zweifel läßt sich nicht aussperren. Nicht von mir, nicht von dir und von niemandem sonst auf der ganzen weiten Welt!

Karin Pfeiffer

 

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