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Newsletter Nr. 33 - Juni 2009

 
01. Juli 2009
Newsletter Nr. 33 - Juni 2009
Kategorie: Newslettertexte
Wortsterne
Über das Verblassen des des Wortsinnes

Worte sind wie Sterne. Im Verlauf des Alterns machen sie eine beeindruckende Metamorphose durch. In ihrer Jugend strahlen sie hell und klar. Sie erleuchten die Finsternis, jedermann dienen sie zur Orientierung. Doch wehe, wenn der erste — meist ist er Politiker — einen dieser makellosen Wortsterne für eigene Zwecke pflückt! Sogleich beginnt das Verblassen. Das Wort ist vom Himmel heruntergerissen und mitten unter uns. Man kann es anfassen, ohne auch nur den Arm ausstrecken zu müssen. Nicht mehr ein weit entfernter Gegen Gegenstand ehrfürchtigen Staunens ist der gefallene Stern. Was uns ganz nahe kommt, verliert allzuleicht das Geheimnis seiner Würde.

Nun nimmt jeder das erniedrigte Wort in den Mund und saugt daran. Wie seltsam! Davon wird es nicht etwa kleiner — oh nein! Unter den Zungen der vielen quillt es auf, wird wolkenweich, bekommt fasrige Ränder, wächst unaufhörlich, hat im Munde kaum noch Platz. Schließlich dient es als Kissen, auf das sich denkmüde Häupter betten. Für alle und alles ist das Wort jetzt da, sich schamlos anbiedernd, tröstend oder drohend, beschönigend oder herabwürdigend — je nachdem. Der Werktätige benutzt es ernsthaft, der Müßiggänger macht es sich mit ihm bequem, die Politiker reiten darauf (hoffentlich) in das Land, wo der Pfeffer wächst, kurz, ein jeder gebraucht das Wort zu den unterschiedlichsten Zwecken; selbst die Schulkinder hopsen darauf herum. Das Wort sieht nicht mehr aus wie ein Wort — und schon gar nicht wie ein Stern.

Es hat sich aufgebläht zu einer Supernova. Zum unüberwindlichen Hindernis ist es geworden, verstellt den offenen Blick der Menschen von Angesicht zu Angesicht. Im Nebel der Worte versteht einer den anderen nicht mehr. Jeder fühlt sich verloren. Endlich hebt einer der unglücklich Suchenden sein Gesicht und richtet die Augen zum Himmel empor: Da! Ein neuer Stern! Ein neues Wort! Im selben Moment lichten sich die Nebel, die Menschen finden zueinander, reichen sich die Hände, lachend und weinend zugleich.
Sobald der erste — meist ist er Politiker — diesen makellosen Wortstern für eigene Zwecke pflückt, beginnt das Spiel von vorn.

Karin Pfeiffer

 

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