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Immer mehr Sprachstörungen

 
24. November 2011
Immer mehr Sprachstörungen
Kategorie: Schule

Sprachstörungen bei deutschsprachigen Kindern

Hallo, ich heiße Martha und bin fast 48. Ich unterrichte seit über 20 Jahren an einer Grundschule. Mir fällt auf, dass seit Jahren die Zahl der Kinder zunimmt, die Sprachstörungen verschiedener Art haben. Häufig zu beobachten sind verwaschene Aussprache und Artikulationsprobleme bei diversen Buchstaben. Ich will jetzt hier nicht auf die Einzelheiten eingehen, meine Kolleginnen und Kollegen werden selbst genügend eigene Erfahrungen besitzen. Insgesamt habe ich den Eindruck, als seien immer mehr Kinder in der Sprachentwicklung zurückgeblieben, auch ihr Wortschatz ist bescheiden. Manche Begriffe kennen die Kinder gar nicht mehr. Beim Unterrichten muss man sich das immer vergegenwärtigen, andernfalls kann ein oder das andere Kind nur deshalb seine Aufgaben nicht machen, weil es gar nicht weiß, worum es geht. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass einige Kinder am Lernstoff nicht mehr sonderlich interessiert scheinen, gleichgültig, wie interessant ich ihn aufbereite. Diese Kinder sind rein durch gar nichts zu begeistern, und wenn, dann erlischt ihr Interesse von Jetzt auf Gleich. Wir alle wissen, wie schwer es ist, einem Kind das Lesen und Schreiben zu vermitteln, wenn es erstens Sprachstörungen hat und zweitens unter Konzentrationsmangel leidet.  

Aber zurück zum Thema. Kinder mit Sprachstörungen – ich spreche nur von deutschsprachigen Kindern – können nicht mit Anlauttabellen arbeiten. Also versuche ich, ihnen mit Hilfe von Sprechübungen und Silbenarbeit ein Gefühl für den Bau der Sprache zu vermitteln. Das ist ungeheuer zeitraubend. Erfolge werden oft erst nach Wochen anstrengender Plackerei sichtbar. Weil ich mich nicht ständig nur auf die sprachgestörten Kinder konzentrieren kann, habe ich diesen „Förderunterricht“ auf die ganze Klasse ausgedehnt mit dem Ergebnis, dass alle begeistert dabei sind und – ich muss es einfach sagen, dabei viel profitieren. Das aber nur am Rande. 

Nie habe ich mich einfach mit gewissen Gegebenheiten abgefunden. Also suchte ich nach möglichen Ursachen. Woher kommen die Sprachdefizite? Vor kurzem stieß ich auf einen Beitrag im Blog des Stolz Verlags, „Der Schnuller macht dumm“ (24.11.2011). Ein Link führte mich zu den Seiten des medizinischen Sprachheilpädagogen Peter Fischer, dessen Aufsätze ich las. Mir fielen buchstäblich die Schuppen von den Augen! Und noch etwas beobachtet ich: Mutter und Kind scheinen weniger miteinander zu kommunizieren. Jedenfalls nicht, wenn sie draußen unterwegs sind. Das Kind sitzt in Fahrtrichtung und ist angeschnallt, weil die Mutter es nicht beobachten und im gegebenen Fall festhalten kann, und fast immer hat es einen Schnuller im Mund!  

Na und? So denken Sie jetzt vielleicht. Die Schnuller sind ja wirklich hübsch, es gibt so viele bunte Motive und Formen. Sie sehen so drollig aus im Mund des Babys. Ich wette, die meisten Mütter kaufen dieses Ding nur deshalb. Als Oma habe ich das wohl auch so gemacht, wie ich nachträglich feststelle. Meine Tochter hatte jedoch das Glück, zu Hause bleiben zu können, und sie hat sich viel mit den Kindern beschäftigt. Anders geht es mancher jungen Mutter, die einer Erwerbsarbeit nachgeht und deshalb wenig Zeit hat. Gerade deshalb wäre es notwendig, dass sie beim Spazierengehen besonders intensiv um das Kind kümmert – das heißt, mit ihm spricht, scherzt, singt. Sprache entwickelt das Kind nicht durch bloßes Anschauen der verwirrenden, fremden Welt. Sie muss ihm erklärt werden! Es muss liebevolle Augen auf sich fühlen, die Worte der Mutter hören und sehen, wie sie den Mund verlassen. Es muss den Mund frei haben, um zu „antworten“ – auch wenn dies anfangs nur ein Lallen ist. Lallen und Brabbeln sind notwendige Zwischenstufen beim Sprechenlernen. Der Schnuller verhindert das. Das „abwesende“ Gesicht der Mutter ebenfalls. Halten Sie mich bitte nicht für altmodisch! 

Der Dauergebrauch des Schnullers und das Nicht-Anschauen des Kindes sind ein Übel der modernen Zeit. Ich bezweifle keinesfalls, dass jeder Schnuller wissenschaftlich empfohlen, ergonomisch geformt und kinderärztlich für unbedenklich erklärt worden ist. Aber was heißt das schon! Wir sind heute allzu schnell bereit, jeden Werbeaufdruck für eine göttliche Offenbarung zu halten, auch wenn sie unserem gesunden Bauchempfinden widerspricht. Die Empfehlung, das Kind schon früh mit der optischen Fülle der Welt zu konfrontieren ist ebenso bedenklich, wie die „Dauerbeschnullerung“.  Ohne den Augen- und Sprechkontakt zur Mutter bleibt auch die große, bunte Welt für das Kind stumm. Ich habe einmal gelesen, dass kleine Kinder die Welt nur durch die Augen der Mutter sehen, und sich mit ihrer Hilfe allmählich in sie hineintasten. (Ich schreibe „Mutter“, weil es einfacher ist. Es kann auch eine andere, enge Bezugsperson des Kleinkindes die Stelle der Mutter einnehmen.) 

Schauen Sie doch ab morgen einmal genau in diese kleinen Gesichter, die Ihnen da unterwegs entgegenrollen. Lese nur ich in den Zügen einiger Babys Überdruss, Freudlosigkeit, Ratlosigkeit? Vergleichen Sie diesen Eindruck mit dem eines Kindes, das mit der Mutter herzen und lachen darf. Wie strahlen da die Augen! Jede Mutter wünscht sich Schulerfolg für das eigene Kind. Aber ist den Müttern bewusst, welche Chancen für die sprachliche Entwicklung vertan werden? Babys, die außer Nahrung und Körperpflege keine sonstige Zuwendung erhalten, sterben, wie wir wissen. Babys, mit denen wir nicht ausreichend viel sprechen, und deren Mund einen Großteil des Tages mit dem Dauerschnuller verstopft ist, werden sicherlich gesund überleben; aber sie werden Sprachdefizite entwickeln, die den Schulerfolg beeinträchtigen. Eine schlechte Mitgift für das Erwachsenenleben! Ergänzend muss gesagt werden: es sind ja nicht nur die beschriebenen Umstände, die negativ wirken. Da gibt es noch das Fernsehen, die Tonträger, Computer und Internet ... 

Falls ich zu düster sehe, bitte korrigiert mich!
Hildegard Brandauer 

PS. Ich danke dem Stolz Verlag für die Bereitschaft, meinen Text zu veröffentlichen.


Zum Weiterlesen:

Der Schnuller macht dumm


Kommentare zu diesem Beitrag:
von Marion (24. November 2011, 22:07):
Alle beschriebenen Beobachtungen hab ich auch schon gemacht oder von ihnen gelesen.
Mich stört aber noch viel mehr, dass Mütter auch sonst so unnatürlich mit den Kindern umgehen. Wenn sie mit ihnen reden, ist die Betonung übertrieben, alles wirkt auf herzlich gestylt, die Mimik ist unecht und aufgesetzt
und überhaupt habe ich den Eindruck, dass viele Mütter mit ihrem Kind wie mit einem Fremdkörper umgehen. Vielleicht täusche ich mich aber auch.
 
von Marianne A. (25. November 2011, 23:19):
Ich denke, Sie täuschen sich nicht, Marion.
Sie haben das wahrscheinlich gut beobachtet. Viele Mütter wirken auch auf mich unsicher und übertrieben in der Art, wie sie mit ihrem Kind umgehen.
 

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