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Extra-Njuuslätta Nr. 22 – März 2009

 
15. April 2009
Extra-Njuuslätta Nr. 22 – März 2009
Kategorie: Newslettertexte
Was ADS mit Zeit zu tun hat
 
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Liebe Lehrer!
Liebe Eltern!

Als Dornröschen 100 Jahre schlief
Wer aus kurzsichtigen Beweggründen — ganz ohne böse Absicht, eben nur unbedacht — einen wesentlichen Aspekt im Leben nicht berücksichtigt, wird auf lange Sicht mit Folgen konfrontiert, die durch Vorkehrungen aller Art nicht aus der Welt zu schaffen sind. Die dreizehnte Weise wird aus dem Grunde nicht ins Königsschloß geladen, weil nur zwölf goldene Teller vorhanden sind. Das daraufhin verhängte Schicksal vermeint der König durch einen technokratischen Trick abwenden zu können. Er läßt alle Spindeln im Reiche vernichten. Wie wir wissen, ist dies vergeblich gewesen. 100 Jahre müssen vergehen, ehe sich die Dornenhecke wie von allein auftut und Erlösung zuläßt in Gestalt eines Jünglings. Die Schlüsselbotschaft lautet: Alle erzwungenen Erlösungsversuche müssen scheitern, wenn nicht die Zeit dafür reif ist.

Die Zeit: der unterschätzte Faktor
Unverschuldet erleidet das Dornröschen im gleichnamigen Märchen beinahe den Tod, der nur durch Barmherzigkeit eines Menschen in einen 100jährigen Schlaf abgemildert wird. Es büßt für die Oberflächlichkeit der Gesellschaft. Weil Äußerlichkeiten und bloße Formalismen (kein dreizehnter goldener Teller) in der Gemeinschaft bestimmend sind, bleibt menschliche Wärme auf der Strecke. Die Unentrinnbarkeit des Schicksals betrifft alle. Dornröschen wird in den Schlaf geschickt und mit ihr die Angehörigen und das Gesinde. Gibt es eine Schuld?
Wenn ein Kind Symptome entwickelt, die unter der Abkürzung ADS zusammengefaßt werden, trifft niemanden eine Schuld. Dennoch fühlen sich die Eltern unterschwellig schuldig, denn sie meinen, bei der Erziehung etwas versäumt oder falsch gemacht zu haben. Aus dieser Gewissensnot erlöst die medizinische Diagnose ADS. Doch: gleicht dieser Weg nicht dem glücklosen Versuch der vielen Königssöhne, die Dornenhecke vorzeitig zu durchdringen?

Das lastende Schuldgefühl ist aus zweifacher Sicht fatal:

Erstens weil es verfehlt ist. Kindliche Ruhelosigkeit und Mangel an Konzentrationsfähigkeit sind nicht auf direkte Erziehungsfehler zurückzuführen.
Zweitens macht das falsche Schuldempfinden empfänglich für Kurzschlußerklärungen und Lösungsmuster, die zu Lasten des Kindes gehen.

Wer aus meinem Text im vorangegangenen Newsletter eine Schuldzuweisung herausgelesen haben will, dem sei geraten, meine Ausführungen noch einmal aufmerksam zu studieren. Man wird feststellen, daß das genaue Gegenteil der Fall ist.


ADS ist ein kulturelles Problem
Die sogenannte »Schnellfeuerkultur« ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das durch Beschleunigung der Lebensführung, Oberflächlichkeit und Unstrukturiertheit gekennzeichnet ist. Dem kann niemand entweichen, und einige kommen damit besser zurecht als andere. Unglückliche und verzweifelte Eltern dürfen sich nicht mit Erste-Hilfe-Lösungen zufriedengeben. Das Weiterreichen der (fälschlich empfundenen) Schuld bzw. Scham an das Kind selbst ist eine janusgesichtige Entscheidung. Mit der Diagnose ADS wird dem Kind unmißverständlich bedeutet, daß es selbst die Quelle für die Entgleisungen im Verhalten ist und also medizinischer Behandlung bedarf, um ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Unfreiwillig wie das Dornröschen sieht sich das Kind plötzlich in der Rolle des genetisch »defekten« Individuums und soll »schlafen gehen«, damit es nicht stört. Wem die Erinnerung an die eigene Kindheit nicht abhanden gekommen ist, kann nachvollziehen, wie sehr dies eine Quelle der Demütigung sein kann, auch wenn uns das Kind selbst seine Kränkung nicht zeigen wird, ganz einfach deshalb, weil es nicht versteht, was mit ihm passiert.

Es sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betont: Weder den Eltern, noch den Lehrern, noch den betreuenden Ärzten oder den beruflichen Hilfskräften ist ein Vorwurf zu machen! Sie alle wollen das Beste für die Kinder. Doch gut gemeint ist eben leider oft genug das Gegenteil von gut.

Alleingelassen mit seelischen Nöten
Nehmen wir an, es wäre umgekehrt. Die Ursache für kindliche Verhaltens- und Lernstörungen würde bei der jeweiligen Elternperson gesucht und verortet werden. Es hieße dann: du, Mutter und du, Vater, ihr seid beide irgendwie genetisch gestört, deshalb macht ihr Fehler bei der Erziehung eurer Kinder. Das ist ein biologischer Defekt, den man medikamentös behandeln muß. Wir verschreiben euch ein »Erziehungsmittel«, das nehmt ihr ein, und damit sind die Probleme beseitigt, die die Kinder mit euch haben.
Würden Sie sich als Eltern nicht empören? Natürlich, und das mit Recht! Nun denkt doch an eure Kinder: diese können sich nicht wehren, und sie wollen es auch gar nicht, denn sie vertrauen den Erwachsenen, vertrauen darauf, daß diese wissen, was nützlich ist für die Zukunft. Deshalb ist durchaus möglich, daß Kinder zunächst erleichtert sind, wenn sie die Diagnose ADS erhalten, wie Frau von Hagen-Baralt schreibt. Erleichtert sind ja gerade auch die Eltern, die nun plötzlich Verständnis aufbringen für das Fehlverhalten des Kindes: es kann nichts dafür, es ist ja krank! Diese Erleichterung überträgt sich unmittelbar auf das Kind, will es doch mit all seinem Sehnen und Hoffen die Eltern glücklich machen (auch wenn dies oft im Handeln nicht deutlich herauskommt).
Was ist passiert? Wir haben eine Schublade aufgemacht und legen die Probleme darin ab. Damit ist das Kind alleingelassen mit seinen Nöten, denn es hat sich letztlich nichts verändert. Seine Probleme sind grundsätzlicher, gesellschaftlicher Natur. Und diese sind nicht durch Medikamente zu lösen. Die Medikamente verhelfen dem Kind zu einem angepaßten Verhalten, das gefällt den Erwachsenen, und sie freuen sich. Man täusche sich aber nicht über diese Äußerlichkeiten hinweg: die Lebensgrundstimmung, also die Tapete, die den gefühlsbetonten Hintergrund jeder menschlichen Seele schmückt, ist düster. Alle beschönigenden Worte helfen nicht darüber hinweg, daß sich das Ritalin-Kind in der Tiefe seines Empfindens alleingelassen fühlt. Es fehlen ihm bloß die Worte, um sein Gefühl des Verloren- und Verratenseins auszudrücken.

Medikamente heilen den Zeitgeist nicht
Was Wissenschaftler sagen, gilt vielen als heilig. Richard DeGrandpre erbringt in seinem Buch »Die Ritalin-Gesellschaft« den mehrfachen Nachweis, daß es bis zum heutigen Tag an neurologischen Beweisen fehlt, welche ADS als biologische Krankheit einstufen könnten, welche mit einem Medikament wie Ritalin zu heilen wäre. Weil sich jedoch mit solchen Medikamenten viel, sehr viel Geld verdienen läßt und eine Vielzahl von Personen daran beteiligt ist, muß man diesbezügliche Aussagen besonders vorsichtig abwägen. Ist nicht jede Werbung letztlich das, was sie bezwecken soll, nämlich ein Mittel zum Zwecke, möglichst viele Kunden zu gewinnen? Die Hersteller von Ritalin verteilen großzügig Geldmittel, um Untersuchungen zu unterstützen, die eine »biologische« Komponente von ADS zeigen, damit die medikamentöse Behandlung gesellschaftlich gerechtfertigt erscheint und die Kosten dafür von der Allgemeinheit (Krankenkassen) übernommen werden. Da ist es vom Empfang der Gelder bis zum Gefälligkeitsgutachten nicht mehr weit, und den Rest besorgt eine unkritische Fach- und Publikumspresse. Einmal in die journalistische Welt gesetzt, wandern die »neuen Erkenntnisse« um den ganzen Globus. Ob richtig oder falsch, kann bald niemand mehr feststellen, auch wenn er dies möchte. Alle handeln nach gut Treu und Glauben, und das, obwohl eine Reihe von Versuchen zeigte, »dass es eine Verbindung zwischen dem gemessenen Hirnstoffwechsel und ADS tatsächlich nicht gab.« (DeGrandpre, Seite 94) Diese Erkenntnisse aber gelangten nicht mehr an die Öffentlichkeit. Es wird bis heute hartnäckig daran festgehalten, daß ADS eine Krankheit und Ritalin das Medikament zu dessen Bekämpfung ist.

Die Wucht der nichtgestellten Fragen
In kritischen oder schmerzhaften Lebenslagen wünschen wir Menschen eine rasche »Rettung« aus der Zwangslage. Bieten sich schnelle Lösungen an, so werden diese dankbar angenommen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Und doch müssen wir zwischen schnellen Scheinlösungen und echten Problemlösungen unterscheiden lernen. Wer Scheinlösungen bevorzugt, wird notwendige Fragen nicht stellen, sich aufdrängende Antworten unterdrücken.

Die drei der wichtigsten Fragen bei der Diagnose ADS lauten:

1. Welche Grundursachen sind verantwortlich?
2. Welcher Weg führt zur Beseitigung oder Dämpfung der Grundursachen?
3. Welche Folgen haben Medikamente zur Symptombeseitigung auf Verhalten und Gesundheit?

Fragen, denen man den Zutritt ins eigene Haus verwehrt, rächen sich und brechen zu einem späteren Zeitpunkt gewaltsam durchs Kellerfenster ein. Die unliebsamen Antworten, vor denen man sich so fürchtet, bringen sie gleich als ungebetene Gäste mit.

Das unstrukturierte, hektische Leben und die damit verbundene Ruhelosigkeit und Sucht nach Sinnesreizen ist eine der Hauptursachen von ADS. Der Autor DeGrandpre nennt es »Schnellfeuerkultur«. Frau Stotz-Breidenbach stellt richtig fest, daß ADS »in allen Gesellschaftsschichten« auftritt und nicht auf gewisse Familien beschränkt ist. ADS ist ein genuin kulturelles gesellschaftliches Problem und von daher nicht durch Willensakte der Individuen zu beeinflussen — also keine »Schuld« der Eltern. Das gehetzte, unstrukturierte Leben der heutigen Kinder speist sich aus vielen Quellen. Weil Eltern selbst Opfer dieser Schnellfeuerkultur sind, fehlt in Familien (ungewollt!) ein berechenbarer, gleichbleibender und langsamer Tagesablauf. Damit ist es Kindern nicht möglich, Strukturen der Selbstorganisation und Selbstkontrolle in sich auszubilden. Und wieder kommen wir zum unterschätzten Faktor Zeit: »Struktur heißt nicht nur Routine und Ritual: sie heißt auch, geduldig da zu sein, wenn das Kind Aufmerksamkeit braucht. Wenn Kinder Anzeichen von Problemen zeigen, dann brauchen sie nicht einfach nur Belohnungen oder Bestrafungen von Betreuern, Lehrern, Babysittern oder Kindermädchen. Wir alle wissen, dass die gesunde Kindesentwicklung von der emotionalen Bindung des Kindes an seine Eltern abhängt, von etwas also, das nicht eintreten kann, wenn die Eltern einen Großteil ihrer Verantwortung an andere delegieren.« (DeGrandpre, Seite 67) Verantwortung delegieren heißt aber auch: das Kind an Ärzte und Therapeuten zu überantworten, weil es angeblich »krank« ist. Noch einmal: es geht hierbei nicht um Schuldzuweisungen. Es gilt, Kausalitäten freizulegen, um Betroffenen einen Anstoß zum Nachdenken zu bieten. Unser Mitgefühl gilt nicht nur den betroffenen Kindern, sondern auch den Eltern und Lehrern. Sie alle leiden. Schnelligkeit erzeugt ein unstillbar frustriertes Verlangen nach noch mehr Reizen. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen. Dies vermag jedoch nur, wer den eingeschlagenen Weg als Teufelskreis erkennt.

Nicht alles beschleunigen wollen!
Vieles von dem, was wir tun, kann nicht beschleunigt werden. Wir müssen uns fügen, und tun dies unter Grollen und zappelnder Ungeduld. Darin sind wir den Kindern kein gutes Vorbild. Und doch ahmen sie uns nach. Wir können es kaum erwarten, daß unsere Kinder reif und klug werden. Wir können nicht erwarten, daß sie laufen, sprechen, lesen, schreiben und rechnen werden und ziehen und zupfen und stoßen sie mit allen uns zu Gebote stehenden Hilfsmitteln voran. Wir schieben die Kleinen in Kinderwagen, die in Fahrtrichtung offen sind, damit sie nur ja schon viel von dieser Welt in sich aufnehmen sollen — und noch schneller lernen! Dabei sind sie dazu noch gar nicht reif, und die Reizüberflutung wirkt bereits negativ auf sie ein. ADS-Symptome sind Reizüberflutungssymptome! Alles wollen wir beschleunigen, und was vormals Sechsjährigen zugemutet wurde, wird heute schon an Dreijährigen ausprobiert. Dieses ungeduldige Handeln hat Folgen.
Das Tempo des Reifens ist — anders als die Pseudokrankheit ADS — genetisch im Menschen verankert. Um beim Menschenkind gewisse Fertigkeiten auszubilden, bedarf es der Zeit, der Zeit, und noch einmal der Zeit! Wenn wir uns diese Zeit nicht nehmen wollen, rächt sich die Natur. Und es wird uns später doppelt soviel Zeit und Mühe kosten, um Fehlentwicklungen zu korrigieren, sofern dies überhaupt noch möglich ist. Alles unter dem Aspekt der Zeitersparnis zu betrachten, ist unmenschlich.

Nebenbei bemerkt: So etwas wie »Zeitersparnis« existiert überhaupt nicht. Hinter dem Wort verbirgt sich lediglich eine Beschleunigung des Lebensstils, das raffinierte Hineinpacken von immer mehr Aktivitäten in immer kürzere Zeitspannen. Was soll dabei gespart werden? Muße oder Ruhe etwa? Leider ist es das genaue Gegenteil. Zeitsparen erzeugt Hektik. Zeitsparen bedeutet eine Beschleunigung des Tempos. Hohes Tempo ist eines der Hauptursachen für ADS.

Langeweile und Langsamkeit: ein Grund zum Durchdrehen!
Was nicht nur ADS-Kindern schadet, sondern uns allen, ist, »dass immer mehr Zeit mit passiver, leichter Unterhaltung zugebracht wird und täglich immer weniger Zeit für wohltuende Stille und Ruhe zur Verfügung steht. Dies gilt nicht nur für die Art von Aktivitäten, zu denen Kinder sich hingezogen fühlen wie Fernsehen statt Lesen, sondern es hat auch mit der turbulenten Lebensweise zu tun, in der man ständig zwischen verschiedenen Betreuern und Terminen hin- und hertransportiert wird. Diese vielfältigen Aktivitäten lösen häufig einen Abscheu gegen Strukturiertheit aus und ein noch größeres Bedürfnis nach Stimulation, die beide dazu führen können, dass das Kind in langsamen Lebensbezügen völlig durchdreht — in der Schule, beim Essen, zur Bettgehzeit, bei der Hausarbeit, den Schulaufgaben oder wenn dem Kind etwas verboten wird. ... Statt die Fähigkeit zur Selbstkontrolle zu lernen, die wir alle brauchen und die früher fast alle Menschen entwickelten, wird Stimulation zu einer Ersatzstruktur für das Kind, und wenn sie wegfällt, fällt auch das Kind auseinander.« (DeGrandpre, Seite 68)

Was tun? Wie helfen?
Lehrer und Eltern sollten einander nicht als Gegner begreifen — sie sind, ebenso wie die Kinder, Opfer der kulturellen Entwicklung, auf deren Bedingungen der einzelne keinen direkten Einfluß hat. Ganz hilflos sind wir dennoch nicht. Im privaten Umfeld können Oasen der Stille und Ruhe geschaffen werden, die der Restrukturierung und Rhythmisierung des Lebens dienen. Im Rahmen dieser Schrift kann ich keine umfassenden Vorschläge machen, sondern allenfalls Denkanstöße geben, die jedem, der seine Situation und die der Kinder verbessern möchte, Impulse zu geben vermögen. Oberstes Ziel der Veränderung sind Entschleunigung und Reizeindämmung. Diese Maßnahmen sind keine ad-hoc-Lösungen wie die Gabe von Medikamenten. Sie können nur durch eine veränderte Lebensführung umgesetzt werden. Geduld und Beharrlichkeit sind Voraussetzung.

Eine Auflistung von Vorschlägen zur Entschleunigung und Strukturierung des Lebens haben wir hier zusammengestellt.

Abschließendes
Wir dürfen unsere Kinder nicht mit Autos vergleichen. Wenn ein Auto aufgrund eines technischen Defekts stehenbleibt, reparieren wir es. Es wird nicht weiterfahren, wenn wir ihm bloß gut zureden. Technische Probleme erfordern eben technische Problemlösungen.
Technische Problemlösungen versagen aber völlig bei Kindern. Es ist nicht möglich, ein Kind zu reparieren. Die Gabe von Medikamenten aber gleicht ein wenig diesem Versuch, psychische Probleme mit Hilfe der pharmazeutischen Technik zu lösen.
Wir alle werden zunehmend von dem Gedanken gequält, daß die Zukunft außer Kontrolle geraten sei. Mit hängender Zunge hechten wir von Tag zu Tag und haben das Gefühl, von einer Lawine überrollt zu werden. »Nirgendwo zeigt sich diese Hoffnungslosigkeit ausgeprägter als im Fall von ADS und der Ritalin-Lösung. Vor zwei Jahrzehnten hätte es einen Aufschrei gegeben, wenn eine große Zahl von Kindern auf unbestimmte Zeit mit Tabletten medikamentiert worden wäre. Die Tatsache, dass wir heute diese individualisierte »Lösung« für eine Vielzahl aller Kinder zulassen, macht nur allzu deutlich, wie sehr unsere Maßstäbe gesunken sind.« (DeGrandpre, Seite 221)

Verehrter Leser: Sie dürfen mich nun dafür verurteilen, daß ich mich der Meinung des Psychologen DeGrandpre anschließe. Sie können das Gesagte aber auch auf sich wirken lassen, um eventuell das eine oder andere in ihrem Leben zu ändern. Es wäre sicherlich nicht zum Schlechtesten für die uns anvertrauten Kinder.

Alle Erziehung ist vergebens, wenn wir das Gegenteil des Erwünschten vorleben. Kinder lernen am Vorbild. Kinder spiegeln die Gesellschaft der Erwachsenen. Wir können an ihrem Verhalten ablesen, was bei uns selbst zu ändern nötig wäre. Es bedarf nicht einmal vieler Worte, um Kinder zu lenken, so lange wir vorleben, was wir von ihnen wollen und sie teilhaben lassen an unserem Leben.

Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet, von den Tatsachen, die ihnen mißfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern. Der, der sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr. Der, der sie aufzuklären versucht, stets ihr Opfer.
Gustav Le Bon 1895


Dies nehme ich hiermit auf mich.

Karin Pfeiffer



Quellenangabe:
Richard DeGrandpre. Die Ritalin-Gesellschaft. ADS: Eine Generation wird krankgeschrieben. BELTZ Verlag, Weinheim und Basel 2002

Von solch einem konkreten Fall der Finanzierung berichtet DeGrandpre auf Seite 237 des obengenannten Buches.

 

 


Kommentare zu diesem Beitrag:
von Elsmarie Vossius (17. April 2009, 21:52):
Sehr geehrte Frau Pfeiffer,
ich danke Ihnen für diesen Artikel. Ich bin Jahrgang 36, habe 4 Kinder, war Dozentin in der Beruflichen Rehabilitation, habe 10 Enkelkinder. Für alle diese Lebensabschnitte kann ich Ihren Ausführungen zustimmen. Das Märchen von Dornröschen habe ich unter Ihrem Aspekt noch nie betrachtet, aber es leuchtet mir ein.
An Ihrem Programm bin ich immer interessiert, obwohl ich kein wirklicher Kunde bin. Ich bemühe mich etwas um Aussiedler, bzw. Migranten, bin immer auf der Suche nach geeignetem Material und bin in Ihrem Programm immer wieder fündig geworden.
Hochachtungsvoll (im wahrsten Sinn des Wortes!)
Elsmarie Vossius
 
von Lammich-Emschermann, Annemarie (19. April 2009, 10:19):
Sehr geehrte Frau Pfeiffer,
vielen Dank für Ihre klaren Worte. Ich freue mich sehr, dass es in unserer immer schneller werdenen Gesellschaft Menschen wie Sie gibt, die uns aufzeigen, wohin uns das immer schneller, immer früher führt. Auch ich versuche seit vielen Jahren an meiner Schule der Entschleunigung etwas entgegenzutreten. Ich werde diesen Artikel auf alle Fälle meinem Kollegium weitergeben.
Herzliche Grüße
A.L.-Emschermann
 
von U.Schildt-Picht (19. April 2009, 11:32):
Sehr geehrte Frau Pfeiffer,
auch ich lese immer wieder sehr interessiert Ihre Artikel. Es gibt viele Dinge, die wir Menschen uns geschaffen haben, mit denen unser Gehirn, unsere Psyche nicht klar kommt. Ich muss immer staunen, wie viele Kinder bei schönem Wetter in großen Einkaufszentren ohne Tageslicht ihre Freizeit nicht mit, sondern neben ihren Eltern verbringen. Einkaufen ist zum Freizeitvergnügen vieler Familien geworden.Die Natur hat unser Gehirn für die Reizüberflutung nicht eingerichtet. Es wird immer davon gesprochen, wie wenig Zeit man hat. Wenn man aber ehrlich ausrechnet, wie viele Minuten, Stunden wir vor dem Fernseher verbringen,dann erkennt man vielleicht doch, wo unsere Zeit bleibt. Ich denke für einige Kinder kann eine halbe Stunde Fernsehen schon zuviel sein - die genetische Veranlagungen sind eben sehr unterschiedlich. In der Schule merken wir wirklich immer, wenn die Kinder am Vortag im Schnee gespielt haben oder im Sommer baden waren, wie viel besser und ausgeglichener sie in der Lage sind zu lernen. Leider gibt es auch sehr viele Einflüsse, die man nicht sofort abschaffen kann. Aber Ihre Ratschläge kann man auf sich wirken lassen und weiterverbreiten.
Auch ich werde Ihren Artikel im Kollegium weitergebn. Ich hoffe, meine Kollegen finden ZEIT ( die uns leider mit vielen ständig neuen Reformen und Änderungen oft genommen wird) um das zu lesen und darüber nachzudenken.
Mit freundlichen Grüßen
U.Schildt-Picht
 

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