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Vorweihnachtliche Magie - unmodern?

 
08. Dezember 2009
Vorweihnachtliche Magie - unmodern?
Kategorie: Erziehung
Kinder brauchen Geheimnisse — heute notwendiger denn je!
 

Szene I (1960)

Zu Hause. Die Mutter putzt das Treppenhaus. Plötzlich stößt sie einen kleinen Schrei aus. Die vierjährige Mathilde stürzt aus der Küche heraus.
Was ist denn, Mami?

— Mir war grad', als wär' was vorbeigeflogen.
— Was denn, Mami?
— Ich weiß nicht - wahrscheinlich hab' ich mich geirrt.

Sie will weiterputzen, stutzt aber, zeigt sie auf die unterste Treppenstufe.

— Guck mal, Mathilde, da liegt was, was ist das denn?
— Ein Schokoplätzchen!
— Hast du es dort hingelegt, Schatz?
— Neeeeiiin.
— Hm. Woher kommt das denn dann? Vielleicht war es doch ...

Das Mädchen ist mit einem mal ganz aufgeregt.

— Das Christkind? Ist das Christkind hier drin gewesen?

Die Mutter legt den Lappen beiseite und setzt sich kurz auf eine Stufe. Dann berichtet sie.

— Mathilde, das müssen wir jetzt doch fast annehmen. Ich wische gerade die unterste Treppe, da spür ich so einen Lufthauch, und es ertönen tausend Silberglöckchen, weißt du wie das klingt?
— Ja, soooo: klingelingelingelinglin ...

Mathilde haucht das Klingeln so schön und so andächtig hin, dass der Mutter ein seliger Schauer über den Rücken fließt. Dann erzählt sie weiter.

— Ja. Und als ich hochschaue, seh' ich was Weißes dort hinten.
— Wo?
— Da! Und da war es aber auch schon weg!
— Und wie ist das Christkind rausgekommen? Die Türen und die Fenster sind doch zu!
— Christkindlein kommt durch die schmalsten Ritzen.
— Auch durch die Mauer?
— Auch, wenn es gar nicht anders geht.
— Ui! Und das Plätzchen?
— Das hat es wohl für dich hier fallenlassen, Mathilde, als kleinen Gruß.
— Oh, das Christkind war da! Danke, danke, liebes Christkind! Aber vergiss nicht, an Heilig Abend wiederzukommen!

Mathilde nimmt den Keks und tanzt fröhlich singend und plappernd zurück in die Küche. Die Mutter lächelt in sich hinein. Die Putzarbeit geht ihr jetzt doppelt so rasch von der Hand.

 

Szene II (2009)

Im Kindergarten. Eine ältere Frau wurde in der Vorweihnachtszeit gebeten, im Kindergarten auszuhelfen, weil eine Kindergärtnerin erkrankt ist. Sie begibt sich mit drei Mädchen und zwei Jungen in einen kleinen Gruppenraum, um ihnen etwas zu erzählen.

— Stellt euch vor, ich habe eben das Christkind gesehen!

Kinder rufen, lachen, kichern. Sie fragen durcheinander.

— Wo denn?
— Warum ist es nicht dageblieben?
— Das glaub ich dir nicht!
— Ich auch nicht. Das Christkind gibt's doch gar nicht.
— Doch, das gibt es — nein — ja — nein ...

Die Frau greift ein und bringt die Kinder zur Ruhe. Sie weist zum Fenster hin.

— Schaut mal, dort am Fenster, da liegt doch was!

Unter Entwicklung von viel Geräusch entdecken die Kinder fünf in Seidenpapier eingewickelte Schokoladenplätzchen. Keines der Kinder fragt etwas, deshalb erzählt die Frau weiter.

— Die hat das Christkind verloren. Es sagte zu mir: die sind nur für die braven Kinder hier.
— Ich bin brav! Ich auch! Ich auch!

Die Frau verteilt die Plätzchen, bittet jedoch gleichzeitig darum, mit dem Naschen noch etwas zu warten, denn himmlische Dinge solle man nicht sofort in den Mund stopfen.

— Ooch, warum denn?
— Hat das das Christkind gesagt?
— Sag mal, war wirklich das Christkind da?
— Ich möchte es aber jetzt essen!
— Ich auch, ich auch!

Die Frau hat Mühe, die Kinder zu bändigen. Zwei knuffen sich und fangen an zu balgen. Sie werden zurechtgewiesen. Die Frau sagt:

— Wir wollen jetzt ein wenig rechnen. Und wenn wir damit fertig sind ...
— Wo ist denn das Christkind hingegangen?
— Weggeflogen! Hini
— Wo soll das denn rausgeflogen sein!
— Na durchs Fenster halt.
— Ach sooo.
— Das ist ja sowieso kein Plätzchen vom Christkind. Die gibt es beim Aldi.
— Woher willst du das wissen?
— Weil wir die auch zu Hause haben.
— Ich will das Plätzchen nicht. Christkind ist doof.
— Christkind. Babykram.

Zwei Kinder haben das Papier schon abgewickelt und kauen. Die anderen beäugen die Gabe unschlüssig, irgendwie ist die Stimmung verdorben.
Die Frau ist enttäuscht. Die Kinder sind enttäuscht.
Sie gehen an den Tisch, wo die Rechenkiste steht und beginnen zu rechnen.


foto: pixelio
Was kostet es, ein Kind glücklich zu machen?
Vertrauen in die Welt wächst nicht aus Konfrontation mit der zuweilen enttäuschenden Realität. Vertrauen entsteht im Gefühl des Auf- und Angenommenseins in der Welt. Zur Hilfe stehen uns dabei die magischen Gestalten, welche die Kinderwelt ohnehin bevölkern. Der Glaube an das Gute und Schöne, an das Liebevolle und Helle entsteht, wenn wir diese Welt nicht mutwillig mit grellem Licht ausleuchten. Wir haben als Erwachsene erfahren, wie banal das Leben sein kann, und wie wenig realitätsfest sich Illusionen erweisen. Müssen wir deswegen die bunte Welt der Imagination zerstören, in der unsere Kinder leben? Reißen wir nicht zu früh den schützenden Vorhang der Magie vor den Augen des Kindes nieder! Wir tun ihm damit nichts Gutes, denn es schöpft seine Kraft fürs spätere Leben aus dieser geheimnisvollen Zeit. So gut und nötig Aufklärung ist — aber alles zu seiner Zeit.

Nachwort:
Wo der Vorhang bereits gefallen ist, wird man keinen neuen aufhängen können. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Doch möge sich jeder, der mit Kindern zu tun hat, davor hüten, die Reste der magischen Welt nicht mutwillig und vorschnell mit dem Besen in die Ecke zu kehren. Kinder brauchen Geheimnisse — sie brauchen diese heute mehr denn je!

 Christine Cremer

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