... erfolgt aus dem Kleinen André Gide soll auf seinem Sterbebett folgendes gesagt haben: »Ich glaube an die Größe der kleinen Nationen. Ich glaube an den Wert kleiner Zahlen. Die Rettung der Erde liegt in den Händen der Wenigen.« Das Elend in den staatlichen Schulen resultiert aus der Organisationsform, die zum Zentralismus neigt. Wirtschaftliche Erwägungen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die Größe der Schuleinrichtungen gehorcht den Maßstäben der Rentabilität. Wenige große Schulzentren sind zudem verwaltungstechnisch einfacher zu beaufsichtigen als viele kleine, individuelle Einheiten. Die Vorgehensweise wird selbstverständlich mit wohltönenden, pädagogische Absichtskundgebungen verkauft, und wir täten gut daran, hier unserem inneren Zweifel stattzugeben. Bürokratien sind keine Menschen, deshalb kümmern sie sich auch nicht um das Leid, welches Großorganisationen für Schulkinder und Lehrpersonal unweigerlich mit sich bringen. Die zur Minderung dieses Leidens ergriffenen psychologischen und pädagogischen Maßnahmen zeigen bereits einen Mangel an. Weil das System eine eigengesetzliche Dynamik entwickelt, bleiben alle wohlmeinenden therapeutischen Programme wirkungslos. Wachsen Organisationen über eine gewisse Größe hinaus, so entwickeln sie ein Eigenleben und sind auch mit gutem Willen und persönlichem Einsatz nicht mehr zu beherrschen. Manch tragischer Verzweiflungsakt an Großschulen, von den Medien spektakulär zur Geltung gebracht, hat hier seine Wurzeln; es entladen sich Wut und Verzweiflung über jahrelang erfahrene persönliche Kränkungen sowie die Enttäuschung, die sich wie eine Kette durch das Kinderleben zieht. In den anonymen Netzwerken findet der junge Mensch keine Heimat, kann keine Heimat finden, weil Großorganisationen nun einmal weder dafür geeignet, noch dazu bestimmt sind, Geborgenheit zu vermitteln. Wenn hierin auch die Familie versagt, ist das kindliche Drama perfekt. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in gesellschaftlichen Gebilden bestimmt die Größenordnung darüber, ob sie jeweils zum Nutzen oder zum Schaden aller Beteiligten wirkt. Je größer die Zahl der in einem Gebäude untergebrachten und dort verwalteten Schüler, desto bürokratischer und unpersönlicher sind die Verhaltensregeln und Normen, ja sie müssen es sein. Niemand will das, und alle tun ihr bestes. Verwundert nehmen wir zur Kenntnis, daß kaum eine Maßnahme zur Beseitigung der Probleme taugt, deretwegen man sie eingeführt hat. Hilfe und schließlich Rettung kann nur aus dem Kleinen kommen; das Kleine zeigt sich im Unscheinbaren: persönliche Atmosphäre im Klassenzimmer, Zugeständnisse in echten Nöten (man muß unterscheiden lernen!), Abstandnehmen von unpersönlichem Reglements, Abmildern unsinniger Anweisungen, Freundlichkeit und zugleich Selbstachtung vorleben, sich nie hinter Anweisungen »von oben« verstecken usw., als notwendig erkannte Lernschritte tun, auch wenn diese als »unmodern« gelten, das Herz sprechen lassen, sich für die Wiederherstellung und Erhaltung kleiner Schulen einsetzen usw. usf. Wir müssen den Mut haben, auch einmal gegen eine Anweisung zu verstoßen, sofern wir ihre Schädlichkeit erkannt haben. Das ist uns sogar durch das Grundgesetz aufgegeben, und es ist dies im Sinne der Menschenliebe, des Mitleides und der moralischen Gesittung. Das Kleine, das sind wir, das ist unser Gegenüber, das findet alle Tage statt und nicht nur in großen Sonntagsansprachen oder glänzenden Broschüren. Das Kleine gestalten wir selbst, und damit haben wir alles in der Hand. In der Schule haben wir es nicht mit dem Lehrer, dem Schüler, der Mutter oder dem Vater zu tun, sondern jeweils mit einem MENSCHEN. Treten wir einander deshalb auch als Menschen in kleinräumiger Beziehung und gegenüber und nicht als Verwalter einer anonymen und kalten Bürokratie! Jeder von uns kann damit beginnen: heute, hier, jetzt! Karin Pfeiffer
Siehe dazu auch folgender Tagebucheintrag. |